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The Great Game | Erstbegehung am Koyo Zom

Koyo Zom Nordwestwand

Tom Livingstone
Text: Tom Livingstone
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Im Herbst 2019 machten sich Tom Livingstone, Uisdean Hawthorn, John Crook, Will Sim und Ally Swinton auf eine abenteuerliche Reise nach Pakistan. Ihr Ziel: Bislang unbegangene Routen auf der Nordseite des Koyo Zom, 6.877m. Uisdean, John und Will verbrachten schließlich mehrere Tage in einer neuen Route am Nordostgrat – mussten aber aufgrund schlechter Verhältnisse und gesundheitlicher Probleme aufgeben. Tom und Ally nahmen sich eine andere Linie an der Nordwestwand vor und standen nach fünf Tagen erfolgreich am Gipfel!

Tom berichtet für uns über sein Abenteuer am Koyo Zom, bei dem leider nicht alles lief wie geplant:

 

Der Hinduraj im Norden Pakistans war aufgrund politischer Instabilität und Spannungen leise vom Radar verschwunden. Bis vor Kurzem. Will Sim hat diese gebirgige und abgelegene Region im Norden Pakistans „wiederentdeckt“. Der Hinduraj grenzt an Afghanistan und ist eine Erweiterung des Karakorum-Gebirges (das wiederum eine Erweiterung des Himalaya ist). Bis vor nur acht Jahren hatten die Taliban das nahe gelegene Swat-Tal besetzt.

Will recherchierte und fand eine Gegend mit Potenzial, wobei ein Berg besonders hervorstach: Der Koyo Zom mit 6.877 Metern. Will schickte John Crook, Uisdean Hawthorn, Ally Swinton und mir ein paar Fotos von diesem beeindruckenden Gipfel mit seiner riesigen Nordwestwand. Wir alle nahmen die Einladung an und reisten im September 2019 nach Pakistan.

Der Koyo Zom steht wie eine Festung in der Wildnis Asiens und blickt auf die Ebenen von Afghanistan, Tadschikistan und China. Seine bedrohliche Nordwand ist mit riesigen Séracs bestückt, sodass man versteht, warum der Berg immer nur von der Ostseite aus bestiegen wurde: 1968 von einem österreichischen Team und 1974 von Briten.

Unser Trip

Koyo Zom Abenteuer

Foto: Uisdean Hawthorn

Zu unserem fünfköpfigen Team gesellten sich vier Pakistani, die sich um die Logistik kümmerten, köstliche Mahlzeiten kochten und beim täglichen Leben im Basislager halfen. Als wir an unserem sechsten Tag in Pakistan im Yarkhun-Tal ankamen und endlich den riesigen Koyo Zom sahen, schlugen wir unsere Zelte auf dem Rasen vor einigen Schäferhütten auf. Die Einheimischen waren anfangs schüchtern, aber bald spielten wir Spiele miteinander. Wir versuchten zu erklären, dass wir in ihren Vorgarten gekommen waren, um auf den Berg im Hintergrund zu klettern. Sie schüttelten nur verständnislos den Kopf.

Akklimatisierung – vielleicht der unangenehmste Teil einer Expedition… Es bedeutet, viele Tage mit Kopfschmerzen in einem Zelt zu liegen. Bei jeder Anstrengung, jeder Bewegung und jedem Versuch irgendetwas zu unternehmen, kommst du außer Atem und dein Puls schlägt dir sofort bis zum Hals. Zum Glück war es in unserem Fünferteam sehr gesellig. Wir machten den ganzen Tag nur Witze und lachten viel in unseren beiden Zelten.

Akklimatisierung

Foto: Uisdean Hawthorn

Endlich, nach drei Wochen mit stabilem Wetter und zwei Akklimatisierungstouren, waren wir (fast) alle bereit zum Klettern. Leider waren Will und Uisdean krank gewesen und hatten die letzte Akklimatisierungstour ausgelassen. Sie beschlossen, die linke Linie des Koyo Zom (den Nordostgrat) zusammen mit John zu besteigen. Sie sah etwas zugänglicher aus und würde ihnen mehr Zeit geben, sich zu akklimatisieren.

Ally und ich waren scharf auf die rechte Linie (die Nordwestwand). Sie hatte uns zu dieser Reise inspiriert und sah einfach unglaublich aus. Ein Eisfeld ragte in eine riesige Wand aus (hoffentlich soliden) Granitpfeilern. Ally und ich waren uns einig, dass die Linie kein Spaziergang werden würde. Falls wir den Gipfel erreichen würden, wäre es ein harter Kampf.

Das Packen braucht immer so lange, wie man Zeit hat. Und so haben wir einen ganzen Tag damit verbracht, alles bis ins kleinste Detail zu besprechen und zu diskutieren, was wir wohl mitnehmen sollten. Ally und ich klammerten uns an Zettel mit Listen und Notizen, weil wir Angst hatten, etwas Entscheidendes zu vergessen. Schließlich hatten wir zwei Rucksäcke bereit, die wie riesige Schneckenhäuser aussahen. Sie waren superschwer (etwa 16 kg), aber wir hielten alles darin für wichtig: ein doppeltes Set Cams, eineinhalb Sets Klemmkeile, Eisschrauben, ein Set Haken, Expressen, zwei Micro Traxion Seilrollen, ein Einfachseil (9 mm) und ein Materialseil (Reepschnur), je eine Stirnlampe mit einem Set Ersatzbatterien, technische Eisgeräte und Steigeisen, ein Paar Kletterschuhe, Helme, Kocher, Doppelschlafsack, ein einwandiges Zelt, Kleidung, Bergschuhe und Isomatten.

 

Die neue Route: “The Great Game”

Route "The Great Game" Koyo Zom

Will, Uisdean und John stiegen in die linke Route ein, während Ally und ich auf der rechten Seite starteten. Am ersten Tag bestiegen wir das untere Eisfeld und erreichten unser Biwak, als die Nachmittagssonne auf die Wand prallte. Wir hatten hier schon zur Akklimatisierung biwakiert, und so waren wir für den vorbereiteten Platz sehr dankbar. Der Akklimatisierungstrip war auch super gewesen, um zu wissen, wie kalt es war und welche Kleidung wir brauchten.

Am darauffolgenden Tag führte Ally uns Kamine aus Fels und Eis hoch und zog unsere Rucksäcke am Materialseil nach. Sie blieben ständig an etwas hängen und scheuerten am scharfen Granit entlang. Danach übernahm ich und stieg überfrorene Schuppen und Felsnadeln hoch, fast wie an einer Sportkletterwand. Nach einer steilen Passage mit superfestem Eis erreichten wir einen kleinen Schneegrat, wo wir unser Zelt aufstellten. Wir genossen die wahnsinnige Aussicht auf die hohen Berge um uns, während die Sonne langsam am Horizont verschwand.

The Great Game

Foto: Tom Livingstone

Am nächsten Tag erreichten wir die beeindruckende und einschüchternde Schlüsselstelle unserer Route: Eine 90 Meter hohe Wand aus überhängenden und senkrechten Felsen, die so aussah, als würde sie unser Unternehmen zunichtemachen. Wir hingen an unserem knarzenden Stand und ich war etwas skeptisch, ob wir diesen Teil klettern konnten. Doch dann erspähten wir eine Stelle mit stärker ausgeprägten Felsstrukturen, die nach einer passablen Möglichkeit aussah. Ich kletterte vorsichtig, teils frei, teils technisch einen Riss hoch und sicherte unterhalb von einigen großen Dächern. Das erinnerte mich an die Hauptwand von Gogarth, ein Ort, den ich sehr mag – allerdings viel wilder. Wir waren ja auf 6200 Metern!

Ich zog meine Kletterschuhe an und freute mich, mit Gefühl durch die steile Wand zu klettern. Die losen Steine, die ich über mir ausräumte, fielen Hunderte von Metern herunter. Der Sonnenschein machte es kurzzeitig erträglicher, mit bloßen Händen zu klettern. Und auch die Kletterschuhe fühlten sich viel besser an als schwere Bergschuhe mit Steigeisen!

5 Tage in der Wand

Foto: Tom Livingstone

Ally und ich verbrachten eine weitere lange und kalte Nacht in unserem Doppel-Biwaksack. Wir saßen in unserer Hängematte wie auf einer Art Sofa. Am nächsten Tag mussten wir durch eine Seillänge mit viel lockerem Fels und konnten schließlich aus der Steilwand aussteigen. Darauf folgte leichteres Gelände, indem wir schneller vorankamen. Allerdings machte uns die Höhe zu schaffen. So checkten wir einmal mehr in einer „Höhenkrankheitshöhle“ ein und schlugen dort ein weiteres Biwak für die Nacht auf.

Am fünften Tag schleppten wir uns zum Gipfel und jubelten über die fantastische Aussicht. Obwohl wir feststellten, dass Uisdean, Will und John wohl umgedreht sein mussten, da wir ihre Spuren nicht sehen konnten, waren Ally und ich total begeistert: Wir waren eine neue Route geklettert, die so unwahrscheinlich aussah und uns richtig gefordert hatte. Am Nachmittag stiegen wir zum Pechus-Gletscher ab und schlugen in der Abenddämmerung unser Camp auf.

Am Gipfel

Foto: Tom Livingstone

Rettung

Am nächsten Tag stiegen wir mit hungrigen Mägen und müden Körpern den Pechus-Gletscher ab und waren froh, dass alle technischen Klettereien hinter uns lagen. Als Seilschaft schlängelten wir uns durch die Gletscherspalten, als Ally plötzlich etwa 15 oder 20 Meter in eine davon fiel. Ich war in der Lage, den Sturz zu halten und ihn mit einem Flaschenzug herauszuziehen.

Leider erlitt Ally eine Kopfverletzung und Prellungen an seinem Arm und Bein. Er konnte nicht richtig laufen, und die Kopfverletzung blutete ziemlich stark. Ich leistete ihm Erste Hilfe, half ihm, so gut ich konnte, und drückte den SOS-Knopf an unserem Garmin InReach Mini.

Der Hubschrauber konnte uns an diesem Tag nicht erreichen, und am Abend verschlechterte sich Allys Zustand. Ich war sehr besorgt und hatte Angst, dass er die Nacht nicht überleben würde. Glücklicherweise kamen wir durch und wurden am nächsten Nachmittag gerettet. Es war eine seltsame Situation: Zuerst kletterten wir eine der coolsten alpinen Routen, die ich je gemacht hatte, als Erstbegehung in Pakistan ... und dann wurden wir gerettet und ins Krankenhaus gebracht, wo Allys Kopf zusammengenäht wurde. Ally schlug vor, die Route “The Great Game" zu nennen. Der Name passte.

Ally

Foto: Tom Livingstone

Die Hauptsache ist, dass wir alle wohlbehalten zurück sind. Diese Erfahrung hat die Dinge ins rechte Licht gerückt. Im Großen und Ganzen war es ein brillanter Trip mit guten Freunden in eine wilde Region mit sehr freundlichen Menschen. Ich bin sehr stolz auf die neue Route, die Ally und ich geklettert sind – und freue mich auf mehr!

 


Mehr über das Koyo Zom Abenteuer 

 

Koyo Zom Packliste

Koyo Zom - Hinter der Kamera

 

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