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  • Thomas März

    Patagonien 2024

    Cerro Torre „Ragni-Route“

Text und Fotos von Thomas März

Frech… das triffts wohl am besten, als wir zu meiner ersten Tour in Patagonien ansetzen.

Wir, das sind Susi, Boris und meine Wenigkeit. Eine wild und spontan zusammengewürfelte Truppe, alle mit einem Ziel im Kopf.

Frech deshalb, weil ich mir gerade als totaler Patagonien Neuankömmling nach einer Woche typischen Schlechtwetters eingebildet habe, große Taten zu vollbringen. Dort stand eines der oftmals lang erwarteten „Wetterfenster“ an. Das bedeutet eigentlich nur, dass der ansonsten omnipräsente Sturm mal paar Tage Pause macht. Das Manko an der ganzen Sache: Es waren uns nicht mehr als knappe 2,5 Tage dieser Sturmpause gegönnt, zudem hat der patagonische Wettergott wohl leider vergessen, die Heizung für uns einzuschalten.

Der Wetterbericht für unser Ziel spuckt also folgendes aus: „Nach einer Woche vollkommenem Scheißwetters mit Temperaturen um die -20 Grad und Wind bis zu 100km/h habt ihr mit viel Glück 2 Tage ohne Wind und milden -10 Grad. Danach mach ich euch die (Eis)Hölle wieder heiß, also beeilt euch!“

Das anhaltende Scheißwetter hat den ganzen Fels mit einer ordentlichen Portion Schnee und Eis verziert, in Kombination mit den -10 °C macht das jegliche Felskletterei ziemlich unangenehm. Zum Glück gibt’s da drunten aber nicht nur Felsrouten, sondern auch ziemlich einmalige Klettereien im Eis. Dafür wären die Verhältnisse perfekt, da war ich mir sicher… Allen Routen voran: Die „Ragni-Route“ auf den Cerro Torre.

  • Cerro Torre ''Ragni''.

Wenn man sich im Internet schlau macht, spuckt Wikipedia zum Cerro Torre folgendes aus:

„Der Cerro Torre (spanisch: „Berg-Turm“) ist ein 3128 Meter, nach anderen Quellen 3133 Meter hoher Granitberg, der sich im Nationalpark Los Glaciares am Rande zum Campo de Hielo Sur an der argentinisch chilenischen Grenze befindet. Der Cerro Torre ist aufgrund seiner steil aufragenden, glatten Granitwände, die im oberen Bereich größtenteils mit Raureifeis (Mushroomice) bedeckt sind, sowie der meist extrem widrigen Wetterbedingungen nur sehr schwer zu besteigen und gilt unter Bergsteigern als einer der schwierigsten und zugleich schönsten Gipfel der Welt.“

Na wenn das so ist: Da wollen wir rauf! Das mit der Schönheit habe ich schon bald mit eigenen Augen bestätigen können, als der Berg für ein paar Minuten aus den Wolken ragt und zu uns herabsieht. Und ob der Berg nun 3128m oder 3133m hoch ist, ist mir ziemlich egal. Darauf kommts dann zum Schluss auch nicht mehr drauf an. Aber nun zurück zu unserem Plan: Aus meiner Sicht stehen uns perfekte Eiskletterverhältnisse bevor, also optimal für unser Ziel. Leider hat der Plan auch einige Schattenseiten:

  1. Unser eher spärlich vorhergesagtes, 2,5-tägiges Wetterfenster reicht für den benötigten, 5-tägigen Rundtrip nicht ganz aus…
  2. In der Saison war noch keine Seilschaft an der Ragni Route erfolgreich. In machen Saisonen erweist sich die Route aufgrund der ständig wechselnden Bedingungen als komplett unkletterbar. Und das findet man erst raus, wenn man vor Ort ist.
  3. Wir klettern in einer Westwand, das heißt ab Mittag Sonne in der Wand. Und das destabilisiert die überhängenden Eisformationen dort oben. Aber die vorhergesagten extrem kalten Temperaturen sollten das schon regeln, hoffe ich.
  4. Wenn man zum Cerro Torre aufbricht, muss man über das Patagonische Inlandeis zusteigen, das dauert schon mal 2 Tage. Für den Fall, dass sich unser Wetterfenster verschiebt, war‘s das mit dem Plan und es wird eine 100km lange, stürmische Weitwanderung aus der anvisierten Klettertour. Ohne Gipfel...Und wer weiß, wann dann das nächste Wetterfenster kommt…

Mir persönlich wäre das allerdings egal, so hat man wenigstens mal was vom Land gesehen und die unendlichen Weiten erleben und spüren dürfen. Und so eine Inlandeisdurchquerung hat ja auch was, Gipfel hin oder her.

Für meine Mitstreiter brauchts etwas Überredungskunst und ein paar geschickt zusammengebastelte Argumente, aber lange dauerts nicht und sie sagen zu. Bisserl pokern machts ja spannend, außerdem fahren viele Seilschaften schon seit vielen Jahren nach Patagonien mit dem Ziel, auf den Torre zu steigen – und gehen leer aus. Jetzt kommen wir und nach nur einer Woche warten gibt’s schon eine Möglichkeit, da hoch zu kommen. Schon etwas frech, aber was solls…

Kaum steht der Plan, verfällt alles wieder der gewohnten Routine. Rucksack packen, Karten herunterladen, Pickel und Steigeisen schärfen, Informationen sammeln, Essen kaufen, Wetterdaten runterladen… Am nächsten Tag sitzen wir schon im Taxi zum nahegelegenen Ausganspunkt der Weitwanderung, welche uns in 2 Tagen übers Inlandeis und zum Fuß des Cerro Torre führen soll. Los geht’s durch wunderschöne, verwilderte Wäldchen, das Wetter sieht dort unten gar nicht so schlecht aus. Die Hoffnung auf einen entspannten und gemütlichen Zustieg steigt – einige Stunden später wird diese Hoffnung jedoch von Sturm und Wolken zerfetzt und weit über die Gletscher des Inlandeises geblasen. Wir sind mittlerweile in eine unwirkliche Landschaft eingetaucht und Patagonien gibt sich größte Mühe, unsere Cerro-Torre Pläne zu zerschmettern und uns auf direktem Weg zurück nach Chalten, unseren Ausgangsort, zu blasen. Mit an unserer Seite kämpft sich mittlerweile eine italienische Seilschaft zu unserer Übernachtungsstätte, eine chilenische Forschungsstation mitten im Inlandeis.  Wir haben uns zu einem Team mit einem gemeinsamen Ziel zusammengeschlossen: Irgendwie dem Sturm zu trotzen. So schaffen wir es nach einigen kräftezehrenden Stunden zu unserem angepeilten Ziel – welches wohl eher einem Bunker, als einer Forschungsstation gleicht. Kaum haben wir die tonnenschwere Eingangstür in Form einer Klappe geöffnet, werden wir von stickiger Luft und Schimmel begrüßt. Die Station ist schon seit vielen Jahren verlassen, außer anhaltendem Sturm und ewiger Einsamkeit gibt’s da oben wohl nichts mehr zu erforschen. Immerhin ist der Wind für den heutigen Tag abgestellt.

Am nächsten Tag schaffen wir es nicht so recht, unseren strikten Plan zu verfolgen. Zu stark ist immer noch das schlechte Wetter, zu niedrig unsere Motivation. Zu viel Geborgenheit strahlt der warme Schlafsack aus, zu bequem sind die 90 cm Matratzen, welche wir uns je zu zweit teilen.

Gegen 06:00 Uhr lässt der Wind etwas nach und wir befinden uns wieder am Wandern. 20 km Inlandeis stehen heute auf dem Plan, danach sollte es noch hoch ins „Col de la Esperanza“ gehen. Übersetzt heißt Col de la Esperanza so viel wie „Sattel der Hoffnung“, was eigentlich sehr gut zu unserer Situation passt. Als wir nach einigen Stunden und vielen Kilometern unter dem Col stehen, ist‘s warm, windstill und sonnig. Leider verwandelt sich der Gletscher schon bald in einen Sumpf, und den spaltendurchzogenen Zustieg ins Col in ein russisches Roulette. Eine kleine Erkundungstour bestätigt unsere Ängste und somit verbringen wir die nächste Nacht am Fuße unseres ambitionierten Ziels. Die Nacht ist allerdings weder sonderlich lange noch erholsam, zu stark sind die Gedanken bereits bei dem, was uns der Berg zu bieten hat. Um 23:30 Uhr klingelt erbarmungslos der Wecker, wir haben ja noch einiges an Nachholbedarf vom Vortag. Der Aufstieg ins Col zieht sich gefühlt endlos, aber je höher wir aufsteigen, desto höher steigt die Motivation. Nach geschlagenen 6 Stunden stehen wir in der Scharte. Vor uns öffnet sich ein Spalt zwischen zwei riesigen Eistürmen. Ähnlich einem riesigen Tor, welches uns Eintritt in eine andere Welt gewährt. Wir tauchen ein, in eine Landschaft wie von einem anderen Planeten. Jetzt kann ich gut verstehen, warum der Cerro Torre eines der begehrtesten Ziele der Alpinistenszene ist. Zum Glück sind wir nicht wie geplant am Vortag aufgestiegen, dies hätte ein ziemlich ungemütliches Biwak mit sich gezogen.

Nun ist es kalt, der Himmel blau und wie durch ein Wunder hat sich der Wind für eine Weile zur Ruhe gelegt. Der Wetterbericht hat sich bewahrheitet und wir sind überglücklich diese außergewöhnliche Chance zu haben. Seillänge für Seillänge arbeiten wir uns nach oben, anfangs noch im geneigten Gelände, doch schon bald bietet uns der Torre senkrechte Kletterei in bestem Eis. Verziert wird das Eis durch den „Rime“, Anraum welcher munter nach untenbröselt, sobald man ihn berührt. Wir sind die erste Truppe in dieser Saison, alles ist wunderschön unberührt und ich empfinde es als enormes Privileg in einer solch atemberaubenden Landschaft unterwegs zu sein. Abwechselnd übernimmt immer einer von uns oder einer der Italiener den Vorstieg. Die anderen haben die Aufgabe das gesamte Gerümpel, welches wir mitführen, nach oben zu transportieren. Wir rechnen fest mit einem Biwak, daher beinhaltet unser Rucksack neben der normalen Kletterausrüstung auch noch Kocher, Isomatte, Essen und einen warmen Schlafsack. Bei mir wurde der warme Schlafsack durch das dünnste Modell meines Besitzes ersetzt, dafür habe ich noch ca. 2 kg Kameraausrüstung mit dabei. Man muss schließlich Prioritäten setzen… Die Kamera ist in Dauernutzung, eine solche Landschaft hatte ich noch nie vor der Linse und ich bezweifle auch, die Chance nochmal so schnell zu bekommen.

Nach ca. 10 Seillängen kommt der Fluss ins stocken, die Italiener sind gerade mit der Führung dran und haben die erste Crux vor sich. Der Elmo [übersetzt: Helm] türmt sich vor uns auf. Der erste der berühmt berüchtigten Eispilze in seiner vollen Pracht. Claudio kommt gerade vom Eiskletterurlaub aus Canada und ist somit am Besten in Übung. Nach einer halben Stunde Wühlerei und einem ordentlichen Runout ist der Weg frei und wir können an seinen Sicherungen nachsteigen. Mittlerweile haben wir uns in den schweren Seillängen zu einem Team fusioniert, die erste Seilschaft hinterlässt alle Eisschrauben, um dem nachfolgendem Team einiges an Arbeit zu erleichtern. Am frühen Nachmittag, wir sind bereits über 12h Stunden am Klettern/Arbeiten, stehen wir auf dem Elmo. Dieser bietet einen guten, geschützten Biwakplatz.

Für mich ist das aber noch zu weit unten, zumal am nachfolgenden Tag ja schon wieder eine Wetterverschlechterung angesagt ist. Die daraus resultierende Nervosität treibt mich an, so lösen wir die Italiener ab und steigen weiter. Einfache Seillängen führen uns zum Mixedgelände, darüber erwartet uns mit der Headwall das steilste Stück des Berges. Jetzt übernimmt Susi die Führung. Biwakplätze sind hier Mangelware, zudem will man sich unter den gewaltigen Eispilzen des Gipfels nicht wirklich lange aufhalten. Die tiefen Temperaturen sorgen jedoch für ein gutes Gefühl in der Magengrube und die Motivation, in einer solchen Landschaft unterwegs zu sein, erledigt den Rest.

So richtig beschreiben kann man die Kletterei dort nicht, das muss ich meiner Kamera überlassen. Ein Versuch würde wohl wie folgt enden: Man stelle sich zum Beispiel die Eiger Nordwand in senkrecht vor, garniert sie mit einem Labyrinth aus Tunnel, Eisfällen und riesigen Überhängen, besprenkelt alles mit einer überdimensionalen Schneekanone und stellt das imaginäre Bild nun auf den Kopf. Jeder der sich darunter nichts vorstellen kann, sollte lieber doch folgende Bilder betrachten…

Schon bald finde ich mich ein einem der beschriebenem Eistunnel wieder. Fest verkeilt, mein Rucksack bildet mit meinem Oberkörper und dem Tunnel quasi einen Formschluss. Das Gute daran: in der Position geht’s zumindest nicht nach unten – nach oben leider auch nicht. Von außen betrachtet muss das Ganze wohl ein relativ lächerliches Bild gegeben haben – der Bergführer, welcher seit Jahren wohl immer noch nicht gelernt hat, dass man beim Klettern in Kaminen seinen Rucksack an einer Schlinge hinterherziehen muss. Gut, dass wir die einzigen an dem Berg sind. Und die Italiener waren damit beschäftigt, uns hinterher zu klettern.

Nach einigem Gefluche und ein paar blauen Flecken bin ich wieder der Herr meiner Lage, und schon bald darauf befinden wir uns unter der 60m hohen, senkrechten Headwall. Diese entgegnet mir mit dem senkrechtesten und härtesten Eis, was mir je unter die Eisgeräte kam. Ich bin wieder mit dem Vorstieg dran und bewaffne mich mit allen verfügbaren Eisschrauben.

Allzulange dauerts nicht und ich ärgere mich, in der Saison zuvor keinen einzigen Eisfall erklettert zu haben. Die einsetzende Laktatparty meiner Unterarme veranlasst eine Reduktion der Abstände der Zwischensicherungen, und so strande ich schraubenlos irgendwo mitten in dem Eispanzer: 1:0 für die Headwall. Zum Glück kommt mir Leo, einer der Italiener mit neuen Eisschrauben zu Hilfe und gemeinsam arbeiten wir uns nach oben. Danke an dieser Stelle!

Gedauert hat das Schauspiel wohl etwas mehr als 2 Stunden, zumindest ist es schon spät Abends, als wir glücklich aber todmüde einen geeigneten Biwakplatz finden. Und was für einen. Auf der einen Seite die ewige Weite des Inlandeises, auf der anderen Seite bauen sich die 3 Gipfeleispilze des Cerro Torre vor uns auf. Das letzte Abendlicht projiziert surreale Farben in den Himmel und lässt den Fitz Roy und die Poincenot in schon fast kitschigen Orange- und Rottönen erstrahlen. Diese beiden Felsgipfel sind neben dem Cerro Torre die höchsten in dem ganzen Gebiet.

Das ganze Schauspiel hat leider zur Folge, dass sich bald die Sonne verabschiedet, und mit ihrem verschwinden eine eiskalte Nacht hereinbricht.  Jeder vergräbt sich in seinem wärmespendenden Schlafsack, die Italiener verschwinden zu dritt in einem Ein-Personen-Zelt. Und ich kuschle mich neben meine...Kamera.

Die Nacht geht irgendwann vorbei und am nächsten Tag beginnt Boris mit der routinierten Arbeit. Kocher anwerfen, Schnee schmelzen... wir versuchen, möglichst viel zu trinken, zum Frühstück gibt’s Proteinpulver mit Vanillegeschmack. Lecker. Mittlerweile hat noch eine dritte Seilschaft zu uns aufgeschlossen, neben Team „Italy“ arbeitet nun noch Team „America“ mit uns. Quasi schon richtig International. Mike, einer der Amerikaner, ist die Route schon mal bis unter den letzten Gipfeleispilz geklettert, um dort vor einer unüberwindbaren Schneemauer zu stehen und wieder umzukehren. Nun ist er wieder hier… Hartnäckig.

Die Sorge, dass uns der Gipfeleispilz keinen Zutritt gewährt, begleitet mich auch… Aber um den Zustand der letzten Seillänge zu begutachten, müssen wir erstmal dort hoch. Der Anfang ist dank einem installiertem Fixseil der Amerikaner vom Vortag zum Glück noch recht angenehm. Aber mit der zweiten Seillänge geht’s bald ins Eingemachte. Ich bin wieder mit dem Vorstieg dran und stehe bald unter einem der Eispilze. Oben bietet sich ein Tunnel mit brauchbarem Eis an, darunter ist allerdings nur überhängender Schnee. Die nächste Stunde verbringe ich mit Fluchen, Schwitzen, Fürchten. Absichern kann man sowas nicht, immerhin würde mich im Falle eines Sturzes der Schnee darunter recht gut abfedern. Ich grabe mit meinen Eisgeräten so tief wie möglich in den Schnee, stecke meinem Arm in das Loch und wiederhole den Vorgang mit den Füßen. So kommt man Zentimeter für Zentimeter nach oben. Hier und da bricht ein Tritt weg und man fragt sich, was zur Hölle man da eigentlich macht. Als nach einer Ewigkeit mein Eisgerät das erste Mal wieder brauchbares Eis unter der Haue hat, fällt mir ein Stein vom Herz und ich schwöre mir, so etwas nie wieder zu machen. Immerhin stehe ich nun schon auf dem zweiten Eispilz (der erste hat sich vor einiger Zeit mal in die Tiefe verabschiedet). Vor mir türmt sich die letzte Seillänge auf, 30m senkrecht, davon 2/3 von dem, was ich gerade über 3-4 m überwunden habe. An dem Punkt ist mir klar, das wars. Keine Chance. Unmöglich…

Bald schon kommen meine Seilpartner, kurz darauf die Italiener nach. Zu sechst stehen wir unter dem weißen Hindernis und bewundern das Problem. „Va Bene“ kommt von Claudio, unserer Eiskletterwaffe. Er bewaffnet sich mit Wings (= an die Eisgeräte montierte, kleine Schaufeln), Skibrille, leiht sich schnell noch alles an trockener GoreTex-Kleidung, was wir haben und macht sich für den Vorstieg bereit. Ein schmaler Grat führt zu der senkrechten Schneewand. Claudio schaffts einige Meter in die Wand zu queren, aber dann kommt selbst er nicht mehr weiter. Auch jegliche Absicherung wird von der Wand verweigert. Sogar die von uns extra hochgeschleppten Firnanker werden wieder ausgespuckt und baumeln willenslos im Seil. „We need to dig a tunnel“ kommt von Leo und mir wie aus einem Munde, beim Anblick des etwas hilflosen Claudios. Da ich schon kraftmäßig und mental von der letzten Seillänge ziemlich ausgelaugt bin, macht sich Leo bereit und fräst sich mit seinen den Wings in den Berg. Zumindest hat man so einen recht guten Halt, je tiefer desto sicherer. Der menschliche Körper als Klemmkeil, in mir kommen da so einige Erinnerungen an die eine oder andere Dolomitenfahrt hoch. Nach einer Stunde ist der Tunnel 1,5m höher, und Leo fix und fertig. Eric, der dritte Italiener übernimmt die Schichtablösung und macht sich gleich als nächstes an die Arbeit. Das Ganze muss wohl, von außen betrachtet, ein recht lustiges Schauspiel abgegeben haben. Unsere Chancen, unserem Traumberg die letzten Meter abzuringen waren gleich null, doch aufgeben wollten wir so kurz unter dem Gipfel auch nicht. Einer von uns steckt wie ein Minenarbeiter im Schacht, die anderen Fünf kümmern sich um dessen Wohl. Es wird Tee gekocht, Handschuhe werden getrocknet, Müsliriegel geteilt…

Leo unterhielt sich mit mir über unseren Fortschritt in Betracht der Zeit. „We need to dig faster, the bad weather will come soon! We need a shovel.” Da waren wir uns einig. Aber woher? Die Italiener hatten zwar eine Lawinenschaufel bei ihrem Zelt, aber das steht 5 Seillängen weiter unten und nochmal klettern wollte das keiner von uns. Bald schon schließen auch die Amerikaner zu uns auf und betrachten das Schauspiel. Zumindest einer von ihnen erkannte die Situation sofort. Genau solch eine Schneewand zwang Mike vor einiger Zeit zum Rückzug. „If there’s anything we can help, let us know“, kam hilfsbereit von ihm. Wir äußerten unsere Idee mit einer Schaufel. “I think that’s no problem“ kam von dem jüngsten aus der Dreierseilschaft und ohne ein weiteres Wort schnappte er sich alle übrigen Seile und begann abzuseilen. 

Nach einer Weile hatte sich auch Eric einen Schichtwechsel verdient, und ich haderte etwas mit mir, weiter zu graben. Zu gering die Chancen. In etwa 3 Stunden haben wir uns ganze 2 Meter den Berg hochgegraben. Irgendwie war ich mit der Situation schon recht zufrieden. Ich hätte Frieden gefunden, hier aufzugeben. Aber dazu war das Wetter noch zu gut, vor allem in Anbetracht der Seltenheit eines solchem Schönwetterfensters in diesen Gefilden. Also alles abdichten was geht, Helm runter und ab in den Tunnel. So leicht wird uns der Berg nicht los.

Kurz bevor ich loslege, bekomme ich von einem hechelnden Amerikaner eine Lawinenschaufel und ein „Good Luck“ zugesteckt. Er hats geschafft die komplette Strecke bis ins Biwak mit Fixseilen zu versehen und mit Schaufel und einer Steigklemme zu uns zu kommen. In unter einer Stunde. Das bringt auch den Vorteil mit sich, schnell wieder nach unten zu kommen, für den Fall dass das Schlechtwetter hereinzieht. Bestens ausgerüstet mache ich mich an die Arbeit und komme so um einiges schneller voran als meine Vorgänger. Komplett durchnässt und durchgefroren steche ich Block für Block aus dem Berg und lasse sie voller Spaß in die Tiefe rauschen. Ein abgefahrenes Szenario. Nach einiger Zeit verhärtet sich der Schnee und ein natürlicher Eisüberhang drängt meine Tunnelpläne etwas ab. Bald schon sehe ich das Sonnenlicht blau durch den sonst bereits dunklen Tunnel schimmern, und mit letzter Kraft grabe ich mich an die Oberfläche. Ähnlich eines Maulwurfs. Bloß in der Vertikalen, und komplett durchnässt. Großes Jubeln. Aber über mir sind‘s immer noch 10m verfestigter Schnee, ehe das Eis durchschimmert. Zu meinem großen Glück sehe ich, wie sich Claudio schon hochmotiviert mit Eisgeräten ausrüstet und mich ablöst. Selten habe ich’s erlebt, dass so viele unterschiedliche Seilschaften so reibungslos zusammenarbeiten, um ihr gemeinsames Ziel zu erreichen. Keiner muss der Erste sein, alle schauen aufeinander und die Stimmung ähnelt eher einem Sportklettergarten, wo man sich gegenseitig anfeuert. Bloß mit 1000m Luft unterm Arsch. Und bei -10°C. Claudio macht seinen Job hervorragend und hat die Schwierigkeiten schon bald hinter sich. Leo und ich fixieren von ihm gesichert die Seile, damit der Rest der Truppe aufsteigen kann. Gipfel gegen 14Uhr. Eigentlich wollte wir spätestens um 12 Uhr umkehren. Schön langsam wird’s aber höchste Zeit. Trotzdem genießt jeder den Moment, schaut in die Ferne des Inlandeises und bewundert die gegenüberliegenden Felstürme. Absolute Freude durchdringt mich, schon lange nicht mehr wurde mein Körper so stark mit Endorphinen durchspült. 

Die Uhr tickt und der Weg nach unten ist noch weit. Abgeseilt wird an Eissanduhren, welche wir schon im Aufstieg präpariert haben. Zudem helfen uns in den ersten Seillängen die Fixseile der amerikanischen Seilschaft. Ab dem Biwakplatz wird’s dann schon mehr Arbeit, überall warten Felsnasen im Mixedgelände darauf, das Seil zu schlucken. Zum Glück haben wir mit 3 Seilschaften genug Reserve, für den Fall, dass ein Strick beschädigt wird. So schnell es geht manövrieren wir uns aus dem Gelände Richtung Elmo, über uns die Gipfeleispilze, unter uns bilden sich schon die ersten Wolken. Ich bin froh, dass bis dahin der Wind ausbleibt… Ab dem Elmo ist’s dann aber Schluss mit der Ruhe, und wir befinden uns innerhalb kürzester Zeit in einem infernalischen Sturm wieder. Jetzt kommt dann auch die Müdigkeit und Erschöpfung durch, schließlich ist die letzte (erholsame) Nacht mit ordentlichem Schlaf schon ein paar Tage her. Dagegen arbeitet der Körper mit allen möglichen, körpereigenen Drogen à la Adrenalin, Dopamin, etc... So arbeiten sich neun kleine Wesen von einem Berg, dessen Dimensionen schon lang vom Nebel verschluckt worden sind. An recht viel kann ich mich an dem Tag nicht mehr erinnern, man folgt einer gewohnten Routine: Frieren, warten bis der Vordermann das Seil entlastet, Abseilgerät einhängen, so schnell wie möglich nach unten kommen, sich am Stand fixieren und das Seil entlasten, frieren, warten…

Irgendwann schwindet das Tageslicht und wir irren in der Nacht zu unserem langersehnten Gletscherplateau, genau zu dem Felsen, an dem wir vor gut 50 Stunden aufbrachen. Das dort deponierte Zelt bot uns zumindest für ein paar Stunden etwas Schutz vor dem Sturm, danach gab es nach und mit einem lauten Schnalzen brachen die Stangen und das Obermaterial riss. Also weiter, hilft eh nichts.
Die folgenden 40 km Heimweg legten wir so, dass wir den Rückenwind nutzen
konnten. Alles andere wäre unmöglich gewesen.

Noch fest in Erinnerung blieb mir, als wir nach ewigen Gletschern und Moränen das erste grüne Moos erblickten, einen großen Pass später sind wir den Fängen des Berges entkommen und mussten die restlichen 20km nur noch raus “wandern“ Die Landschaft war mittlerweile wieder genauso lieblich, wie sie vor 5 Tage beim Start war. In meinen Kopfhörern läuft „High Hopes“ von Pink Floyd und die Welt ist bis auf einen angefrorenen Zeh und einem 25 kg schweren Rucksack wieder perfekt. Wohl etwas perfekter als sie eh schon immer war….

Und mein Patagonienaufenthalt hat ja gerade erst begonnen…

Vielen Dank an alle Mitstreiter, für die geile Zeit am Berg.

Außerdem an Rolo Garibotti für die vielen Informationen und den Wetterbericht per Satellitentelefon.

Und an alle, welche uns die vielen Informationen aus vorherigen Begehungen zur Verfügung gestellt haben.

Zum Schluss will ich mich auch bei der Firma Mountain Equipment bedanken, für die gute Zusammenarbeit seit vielen Jahren und das hochwertige Equipment!

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