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"Die Kohlebagger von Lützerath" (520m, M8) | Maningkogel

Maningkogel

Text & Bilder: Martin Feistl & Silvan Metz

2022 beginnt als außerordentlich entspannte Eiskletter-Saison. Ich checke alle zwei Tage eine Liste an mir wichtigen Webcams, aber es gibt einfach kein Eis, weder auf den Cams, noch auf Instagram, oder in der realen Welt. Blöd? Nein, überhaupt nicht! Denn diese anhaltende Nichtexistenz von Eis hat mich mit einem guten Gefühl Routen bei denkbar schlechten Verhältnissen klettern lassen, auf die Idee ich in einer normalen Saison niemals gekommen wäre. Eine dieser Routen war der „Nordostgrat“ am Maningkogel, eigentlich eine leichte Gratkletterei maximal im 4. Grad durch Bohrhaken entstellt, die wir bei einem halben Meter Neuschnee – zumindest dort, wo wir sie gefunden habe – sehr gerne eingehängt habe. Ein Tal daneben mit dauerhaftem Blick auf die oft überlaufene Zwölferkogel Nordwand wühlten Lea und ich uns in knapp 3 Stunden, die Köpfe starr auf den GPS-Track am Handy fixiert, durch den ersten Schnee bis zum Einstieg. Schon im Zustieg fällt mir die Nähe des Berges zum Mount Everest ein. Damit wäre die Frage nach dem Geo-Tag bereits geklärt. Mal nicht am Matterhorn zu sein, tut auch gut. Aber warum posten? Eine Frage, die ich nicht immer, hier aber eindeutig mit Eigennutz beantworten kann: Schon seit einigen Jahren war mir klar, dass man an dieser Wand noch seine eigenen Linien zeichnen kann, und da wär‘s doch praktisch, wenn die mühsam hineingefräste Spur durch einen Post noch ein bisschen verfestigt werden würde? Dieser perfide Plan hat irgendwie funktioniert, auch wenn es wohl eher Zufall war, dass sich wenige Tage später ein paar Wanderer in unsere Spur verlaufen haben.

Eine Woche später schaufeln Silvan und ich uns wie zwei Kohlebagger aus Lützerath – naja eigentlich nur Silvan – einen 300 Meter langen Graben bis zum Beginn der Headwall. Genauso rabiat, grobschlächtig und unnötig, aber halt ohne tödliche Folgen für Unbeteiligte. Während wir teilweise nur 50 Höhenmeter in der Stunde vorankommen, können wir nicht abschließend klären, ob die Wanderer, die sich einfach nur des Wanderns wegen, den Großteil unserer alten Spur hochgewühlt haben verrückter sind, oder wir. Am Ende dieses Grabens stellen wir in einen Windkolk am Fuß der Headwall unser Zelt auf und beginnen abwechselnd zu essen und zu schlafen. Zwischenzeitlich hätten wir noch fast das Zelt abgefackelt, sodass wir zum Glück nur theoretisch überlegten, was wir dann gemacht hätten. Winter-Gas hat definitiv seine Daseinsberechtigung, aber das erkläre ich euch ein anderes Mal, vielleicht in einem „How to Wintercamp-Tutorial“?

Direkt aus dem Zelt raus starte ich am nächsten Morgen in die Schlüssellänge. Ein 30 Meter langer Kampf gegen eine am Ende leicht überhängende Verschneidung. 2 Mal hänge ich mehrere Minuten lang fast heulend an meinen Eisgeräten und warte ab, dass das Blut in die Fingerkuppen schießt. Einmal die rechte Hand und 5 Minuten später die linke. Ein wunderbar fürchterliches Gefühl, ohne das dem Alpinismus eine gehörige Portion Masochismus fehlen würde. Dabei fühlt es sich eher so an, als ob das Blut stückchenweise gemächlich hineinkrabbeln würde, um kurz vor der Erlösung wieder etwas zurückzukrabbeln. Klingt transzendent und Blut krabbelt nicht, ich weiß. Irgendwann war’s dann aber drin und da sollte es für den restlichen Tag auch bleiben. Die zweite Seillänge stellt das absolute Herzstück der Linie dar und war der Hauptgrund, warum ich in dieser Wand klettern wollte. Ein knapp 20 Meter langer Schulterriss, der allerhöchsten Quälgenuss bei perfekter mobiler Absicherung verspricht. Wer sich jetzt dennoch oder geradeerst fragt, warum ich da hinwollte: Da ist ein Riss. Wo ein Riss, da eine Linie. Wo eine Linie, da ein Künstler, der mit ihr zeichnen muss. Wir sind diese Künstler. Mittels einer gewagten Plattenquerung bringe ich uns in leichteres Gelände und für die letzten 2 Seillängen übernimmt wieder Silvan die Führung, um uns im letzten Tageslicht auf den kleinen Gipfel unserer Leidenschaft zu bringen.

Was bleibt ist eine außerordentlich anspruchsvolle, auf den ersten Blick völlig unlogische Linie wenige Meter neben dem Nordostgrat auf irgendeinen Buckel, den keine Sau kennt, die aber durch die Verhältnisse, Temperaturen, Sicherungsmöglichkeiten und technischen Fertigkeiten Extremes fordert.

Es ist nicht nur eine Linie und ein Abenteuer mit einem Freund, der mich 5 Stunden für 3 Seillängen gesichert, angefeuert und gefilmt hat, sondern es ist eine Linie, die aufzeigen möchte, was für nachhaltige Erlebnisse direkt vor der Haustüre möglich sind, wenn man bereit ist vermeintlichen Verzicht als Gewinn zu verstehen.

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