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Das Patagonien Indiens | Expedition Naturfreunde Alpinkader

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Text: Babsi Vigl

Fotos: Timo Moser, Babsi Vigl, Lorin Etzel, Thomas Holler, Michael Groher

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Im Sommer 2017 war es endlich soweit: Die Teilnehmer des zweiten Durchgangs des Alpinkaders der Naturfreunde Österreich machten sich gemeinsam mit Trainer und Bergführer Timo Moser auf den Weg zu ihrer Abschlussexpedition nach Nordindien. Diese Expedition sollte gleichzeitig Höhepunkt und Abschluss zweier intensiver Jahren voller gemeinsamer Touren und Trainingsmodule sein.

Übrigens: Nach einem Jahr Pause startet der Alpinkader 2020 mit neuem Aufbau, diesmal begleitet von dem Trainerteam Timo Moser und Babsi Vigl. Bis 1. Mai 2020 hast du noch die Chance dich zu bewerben und Teil dieses Teams zu werden >>> Bewirb dich jetzt!

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Ein altes Sprichwort sagt: Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Als wir am 30. Juli 2017 in München ins Flugzeug nach Neu-Delhi steigen, beginnt auch ein großes Abenteuer mit ungeahnten Wendungen. Monatelange Planung, Vorbereitungen und angepasstes Training liegen hinter uns, und wir können es kaum erwarten, endlich unsere Gipfel in Angriff zu nehmen. Nach einigen Tagen in der Stadt Leh, in der wir die erste Hürde – indisches Essen – ohne gesundheitliche Probleme schaffen, geht’s in wilder Fahrt über holprige Straßen, die mit jedem Kilometer schlechter werden, zwei Tage lang immer tiefer ins Zanskar im Himalaya. Karge Hochebenen, alte, zahnlose Frauen, die riesige Heuballen schleppen, die ersten 7000er am Horizont und zufrieden grasende Yaks erinnern an das benachbarte Tibet.

In Padum, einem verschlafenen Dörfchen, endet die Straße. Von hier soll es zu Fuß weitergehen. Doch das Schicksal will es anders, und wir machen mit dem Ausdruck „Inschallah“ (arabisch: „Wenn Allah will“) Bekanntschaft; schon Albert Precht nannte es treffend das indische „Vielleicht“. Drei Tage lang schlagen wir uns mit Trägern herum, die unser Gepäck nicht tragen können oder wollen und mit wilden Yaks, die es definitiv nicht wollen und alle 20 Meter ihre Last abwerfen. Zur Krönung bedienen sich die jungen Träger noch in unseren Taschen, und unser Ziel, der Zanskar-Khantang-Gletscher, rückt langsam aber sicher in unerreichbare Ferne. Schweren Herzens müssen wir die Aktion abbrechen – wenigstens erhalten wir das Gestohlene zurück. Zum Glück haben wir ein Alternativziel zur Hand: Auf der Autofahrt nach Padum ist uns in einem Seitental eine markante Bergspitze aufgefallen, und dorthin kehren wir jetzt zurück. Schnell ist das Basecamp innerhalb der Mauern eines buddhistischen Frauenklosters aufgeschlagen, und wir packen unsere Rucksäcke für das unbekannte Tal. Einige Stunden und 1000 Höhenmeter später machen wir begeistert eine unerwartete Entdeckung: Der markante Berg, wir nennen ihn „unseren Cerro“, steht nur am Anfang einer Arena aus steilen Granitwänden, schlanken Felsnadeln, scharfen Graten und formschönen, eisbedeckten 6000ern. Wir haben das Patagonien Indiens entdeckt!

Auf 4800 m schlagen wir am 8. August unsere Zelte auf und erforschen am nächsten Tag gleich unser Paradies. Unser Hauptziel, der Cerro, präsentiert sich als sehr anspruchsvoll und mit unseren Vorräten vorerst nicht machbar. In zwei Teams gelingen uns die ersten Gipfel: Michi, Lorin und Timo klettern über eine neue Route, die sie „North-East-Face“ nennen, auf einen 6000er, während Tom und ich eine geniale Mixed- und Felsroute auf einen unbestiegenen 5000er eröffnen.

Nun sind die Vorräte aufgebraucht, und wir steigen ins Basecamp ab, um neue Kräfte zu sammeln und neues Material zu holen. Nach zwei Tagen sind wir zurück – unser Ziel: der Cerro über die Nordwest-Wand. Diese Route wollen wir alle gemeinsam klettern, wegen der Länge und Schwierigkeit sind wir auf ein leichtes Biwak vorbereitet. Wir kommen schnell voran, versteckte Risse leiten uns durch die Wand, und dank toller Teamarbeit richten wir bereits im Aufstieg die Abseilstände mit jeweils einem handgeschlagenen Bohrhaken oder einer Köpflschlinge ein. Vor der abweisenden Gipfelwand, die wir über einen messerscharfen Grat erreichen, ist Schluss für den Tag. Wir fixieren Seile und beziehen auf einem abschüssigen Band unser Sitzbiwak. Am nächsten Tag gehen wir nach einem schnellen Frühstück die schwere Gipfelwand an. Lorin klettert, zum Teil mit heiklen technischen Passagen, zwei anspruchsvolle Längen, die letzte Seillänge zum Gipfel darf ich klettern. Ein steiler, ausgesetzter Riss, ein kurzer Aufschwung und der Gipfel gehört uns! Oben angekommen finden wir eine neue Kevlarschlinge, die uns sagt, dass uns der Gipfel kurz vorher weggeschnappt worden ist; doch die Erstbegehung unserer schönen Route gehört uns, und wir genießen kurz unseren Erfolg, bevor es nach unten geht – ein langer Abstieg liegt vor uns!

Glücklich und zufrieden brechen wir unser Hochlager am nächsten Tag ab und gönnen uns etwas Rast im Basecamp. Unser nächstes Ziel: ein vereister Granitgipfel Richtung Kargil. Nach ein paar Zwischenfällen indischer Art – es kommt nur ein Jeep, und wir müssen einen Teil unsers Gepäcks vorerst zurücklassen – können wir das nächste Basecamp auf einer schönen Wiese, umringt von vielversprechenden Boulderblöcken, beziehen. Der ideale Ort, um unsere Expedition abzuschließen! Für die letzten Tage finden wir zwei Ziele: Tom und Timo ziehen mit den Eisgeräten und minimaler Biwakausrüstung los, um ein Eiscouloir auf einen 5000er zu klettern, während Lorin, Michi und ich die Erstbegehung einer 500 Meter hohen Granitwand im Sinn haben. Zuerst müssen wir noch einen reißenden Fluss überqueren und richten, nachdem es Michi auf die andere Seite geschafft hat, eine Tyrolian-Traverse ein.

Beide Touren fordern uns sehr. Im Eisgully warten morsches Eis, ein eisiges Biwak und ein langer Abstieg; das „Team Fels“ erreicht nach einer ersten Erkundungskletterei im Lauf eines langen Tages über herrliche versteckte Risse, anspruchsvolle Plattenrunouts und schwer zu sichernde Längen mit den Stirnlampen den Gipfel. Und im Tal wartet noch eine besondere Herausforderung: Der Fluss ist so stark angeschwollen, dass Michi und ich bei der Überquerung „g’scheit mitgewaschen“ werden. Zum Glück kommen Inder zur Hilfe, und wir sitzen wenig später mit trockenen Sachen vor dampfenden Schüsseln. Gemütliches Bouldern, eine Abschlussfeier in Leh und eine wilde Rikschafahrt in Neu-Delhi sind das Sahnehäubchen auf unserer gelungenen Expedition, und als wir am 30. August in München bei einer Jause zusammensitzen, zieht Timo folgendes Resümee: „Unsere drei Ziele waren, gesund, als Freunde und mit Gipfelerfolgen zurückzukommen – alles haben wir geschafft! Was kann man sich mehr wünschen?"

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Die Routen

>> "Inschallah, maybe", Torre Fanni (5400 m): 9 Seillängen, 350m, M6, 5c, 60°

>> "North-East-Face", Peak (6060 m): 1000m, 4a, 55°

>> "Dust.From dusk till dawn.", Jamyang Ri (5.800m): 15 Seillängen, 500m, 6a, A1

>> "My local river is a nightmare", Rangdum’s Afterwork Pillar (4500 m): 19 Seillängen, 500m, 6a+ (6a obligat)

>> "The last stand", Peak (5630 m): WI 4+, 4a

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