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Alpinklettern in Marokko

  • Klettern
  • Susi Süßmeier
  • Team

Text: Susi Süßmeier

Fotos: Susi Süßmeier & Babsi Vigl

 

Ein Hahn kräht, ein Esel gibt seine sonderbaren Laute ab, weit und breit kein Auto in Sicht und auf meinem Mobiltelefon rührt sich seit unserer Landung in Marrakesch auch nichts mehr… Ich stehe auf dem lehmgedeckten Dach der Gîte „Aoujdad“ von Youssef, freue mich über die ersten Sonnenstrahlen und überlege, welche Route wir heute klettern wollen.

Rund um das abgelegene Berberdorf Taghia bei Zaouiat Ahnsal (Marokko) türmen sich hohe, steile Wände aus kompaktem, rotem Kalk auf. Von sechs bis 20 Seillängen ist hier alles geboten und auch bei der Absicherung reicht die Auswahl von „Plaisir“ bis „wild alpin“.

Wir entscheiden uns für den „Paroi des Sources“ – der Klettergarten bei den Quellen. Die Wandhöhe ist überschaubar, die Routen haben um die acht Seillangen. Der Zustieg ist mit 15 Minuten kurz und einfach, außerdem kann über die meisten Routen abgeseilt werden. Eine Option für unsicheres Wetter, wie wir es die kommende Woche haben werden. Es gibt dort einige leichtere Routen wie den „Rêve d’Aicha“ (6a) und „Belle et Berber“ (6b+), aber auch geniale schwierige Wandkletterei bis 7b+. Genau dorthin zieht es uns. Wir steigen in die einzige trockene Linie ein: „Fat Guide“ (7b+). Die Schlüsselseillänge ist gleich die erste – eine Bouldertraverse am Wandfuß schützt vor Kaltpump. In steiler, diffiziler Wandkletterei führt die Linie in sehr griffigen Felsen durch 6c’s, 7a und 7b – bis uns einsetzender Regen nach der fünften Länge zum Umdrehen zwingt.

 

Gelbe Suppe, Couscous mit Gemüse, zur Nachspeise Obst

Die nächste Ortschaft, Zaouiat Ahnsal, ist zwei Stunden Fußmarsch entfernt. Eine Straßenanbindung ist in Planung, noch (und wahrscheinlich noch lange) gibt es sie nicht. Zwar stehen die Bagger schon in Tamdarote, dem Nachbardörfchen auf halber Strecke von Zaouiat, aber allein das Gewitter vom Vortag hat den Weg wieder unpassierbar gemacht – selbst für die geländegängigen Esel mit 4-Huf-Antrieb. So stehen in Taghia die Esel und Mulis in den Ställen wie bei uns die Volkswagen und Mercedes in den Garagen. Alles, was nicht im Dorf wächst, muss mühsam von weit hertransportiert werden, alles ist kostbar. Jeder Abend beginnt mit gelber Suppe, gefolgt von Tajine, einem traditionellen Gericht aus geschmortem Gemüse und Fleisch. An anderen Tagen gibt es Reis oder Couscous – mit gegartem Gemüse und Fleisch. Zur Nachspeise serviert man Äpfel, Melone oder Orangen. Ansonsten essen die Einheimischen Fladenbrot mit Olivenöl, für die Kletterer gibt es in der Früh auch Schokoaufstrich, Marmelade, Honig und „la vache qui rit“ – ein französischer Frischkäseaufstrich. Einmal werden wir mit Pfannkuchen, ein anderes Mal mit einem Rühreigericht mit Tomaten und Zwiebeln verwöhnt. Das Essen ist wirklich gut – man muss nur Glück haben, dass man sich keinen Brechdurchfall einfängt. Babsi hat kein Glück und liegt die nächsten zwei Tage im Bett – ich gehe währenddessen an einem Tag wandern und am anderen Soloklettern.

Die Qual der Wahl: Geniale Routen

Was die Kletterei in Taghia so besonders macht, sind vor allem die steilen kompakten Wände, welche ohne die hunderten von Bohrhaken kaum abzusichern wären. An Henkeln durch bauchige Überhänge, über Tropflochwände zur nächsten Sinterpassage und weiter durch genial strukturierten Felsen. Oft schauen Seillägen von unten unheimlich schwierig aus und lösen sich dann, wie fürs Klettern gemacht, bestens auf. Eine solche Route ist zum Beispiel „La Dernière Liberté“ in der Oujdad Südwestwand von P. Mussatto und JP. Rio. Unter dem 7. Französischen Schwierigkeitsgrat gibt es nur ein paar Hände voll Routen – darunter aber ein paar „must do’s“ wie die

→ „Canyon Appache“ (6c) und die „Allumeur du rêve Berber“ (6b+) im Timrazine Canyon, 350m

→ „Au nom de la réforme“ (6c) und „A boire ou je tue le chien“ (6c) am Taoujdad, 300m

Ab dem 7. Französischen Schwierigkeitsgrat ist die Liste der genialen Routen lang, 7b sollte solide geklettert werden, wer schwerer klettert hat gar die Qual der Wahl…

Routen, die ich empfehlen kann:

→ Paroi des Sources (~ 8 SL): „Fat Guides“, „La Zebda“ und „Susurro Berber“, Wandkletterei, alle 7b+, alle genial!

→ Taoujdad: “Rivières Pourpres”, 7b+, 550m: steile Kletterei, anhaltend schwierig – ein Traum!

→ Oujdad: „Barakka“, eine Länge 7b, sonst 6a-6c, super Kletterei und vor allem: Die Linie führt bis zum Gipfel!

→ „La dernière Liberté“ 7b+, 8 SL abwechslungsreicher, steiler Fels. Absolutes Highlight! Manchmal muss man etwas beherzt von den Haken wegklettern…

Auch am Tadrarate und Tagoujimt n’Tsouiant, beide ca. 800m, gibt es geniale Routen, vor allem 7c aufwärts und insbesondere für Rissliebhaber: „Rouge berber“ – eine Riss-Verschneidungs- und Kaminlinie auf den Tadrarate, 7b, 650m, zum selbst Absichern.

Do it yourself

Mit Bohrmaschine, 40 Bohrhaken und vielen Schlaghaken im Gepäck wollten wir uns eigentlich ins Neuland wagen. Doch nachdem uns von der ohnehin schon kurzen Zeit durch Babsis Krankheit noch einmal zwei Tage abhandenkommen, lassen wir von unserem Projekt ab und gehen auf den Wunsch der einheimischen Kletterer ein: Sie wünschen sich einen südseitigen Klettergarten für die kalte Jahreszeit, mit leichten Routen für touristische Angebote und die Schulkinder. In einem wunderschönen Gemeinschaftsprojekt mit Youssef, Ahmed, Mohamed und Anne entsteht so der kleine Klettergarten Asfal Naugni, der 20 Minuten nordwestlich oberhalb des Dorfes liegt.


Nützliches

Unterkunft und Anreise

Flug nach Marrakesh im Südwesten von Marokko, von dort aus fünf Stunden mit dem Taxi und weitere zwei Stunden zu Fuß ins Dorf Taghia.

Es gibt zwei größere Unterkünfte („Gîtes“), in denen ich in den letzten zwei Jahren war. Im Grunde unterscheiden sie sich nur in Details – ich kann beide empfehlen! Man meldet sich bei ihnen per WhatsApp, Facebook oder E-Mail und sie organisieren auch das Taxi vom Flughafen und den Eseltransport bis zur Unterkunft:

Bei Said (www.climbingtaghia.com): weiter unten im Dorf, daher nahe an den Felsen, feines Essen, die besten Topos, wenig nervige Fliegen

Bei Youssef (http://www.gite-aoujdad-taghia.com) etwas weiter oben im Dorf, mit genialer Sicht auf die Felswände von den etwas gemütlicheren Terrassen und Gemeinschaftsräumen. Youssef und ein paar andere Familienmitglieder sprechen gut Französisch! Preise 2018: 14€ für Unterkunft und Essen je Nacht, 30€ fürs Muli (Gepäcktransport) und 220€ der Taxitransfer Marrakesh <-> Zaouiat Ahnsal hin und retour.

Führer/Topos

Als wir in Taghia waren, gab es nur einen einzigen Führer von Christian Ravier aus dem Jahre 2008. 2019 ist eine neue Auflage herausgekommen: http://www.christian-ravier.com/topotaghia.html. Erhältlich bei Christian per E-Mail cravier@club-internet.fr.

In den Gîtes liegen viele kopierte Topos herum, auch die Infos zu den neuen Routen bekommt man hier. Bei Said sind die vollständigsten Topos zu finden.

Material

Viele Expressen (~18, am besten auch verlängerbare Exen)! Auch für gebohrte Routen haben wir manchmal drei Friends mitgenommen, je nachdem wie viel wir über dem Schwierigkeitsgrad standen. Ansonsten je nach Plänen auch mehrere Sätze Friends, Haken etc. Ein kleiner Haulbag oder abriebfester Rucksack zum Nachziehen lohnt sich ebenfalls, die meisten Routen sind steil genug dafür. Als Seillänge empfiehlt es sich 60m dabei zu haben. In unserem Gepäck war ein 60m Halbseilpaar, eine Kevlarhilfsleine zum Rucksack nachziehen und ein dünnes Einfachseil.

Beste Jahreszeit

Im Herbst und im Frühjahr. Im Frühjahr sei es ab Mitte/Ende April und vor allem im Mai ganz gut. Oftmals regnete es bei uns nur kurz und die Wände trockneten innerhalb weniger Minuten wieder komplett auf. Viele Kletterer kommen auch ab Mitte September und bleiben bis Ende Oktober. Zu Beginn des Zeitraumes kann es südseitig unangenehm warm sein zum Klettern, im Schatten ist eine leichte Daunenjacke trotzdem recht, wie z.B. die Frostline Women’s Jacket. Das Dorf liegt immerhin auf 1900m und die Wände gehen bis auf knapp 3000m hinauf…

Sonstiges

→ Die Bewohner sind Berber und haben ihre eigene Sprache. Neben Arabisch sprechen sie mehr oder weniger Französisch, etwas Englisch.

→ Außer an den Quellen direkt empfiehlt es sich das Wasser zu behandeln.

→ Es gibt kein Wifi und mit unseren österreichischen SIM-Karten hatten wir keinen Empfang. Die Einheimischen sind aber fleißig auf Social Media vertreten – es ist also offensichtlich möglich Empfang zu haben. Bei Youssef hat uns sein Neffe Achmed, wenn wir es wollten, den Wetterbericht nachgesehen.

→ Einkaufen: Im Dorf gibt es eine kleine Boutique mit Cola, Fischkonserven und Keksen. Besser auf der Anreise den Taxifahrer bitten, am Supermarkt anzuhalten, um Riegel, Kekse, Nüsse etc. zu kaufen. Toilettenpapier und Seife sind auch nicht schlecht selbst zu haben… Aus Österreich hatten wir noch etwas salzigen Aufstrich, Käse und Speck dabei, darüber freut man sich beim überwiegend süßen Frühstück nach einiger Zeit auch.

→ Die Einheimischen leben in ziemlich kargen Umständen, sind aber sehr freundlich und betteln nicht (nur die kleinen Kinder fragen gerne nach Schokolade ). Man kann den Einheimischen eine riesige Freude mit nicht mehr benötigtem Klettermaterial oder den Kindern (nicht nur denen der Gîte-Besitzer) mit Stiften, Bällen etc. machen.

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