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Der Viereselgrat an der Dent Blanche

Text & Bilder: Silvan Metz

„Ein echter Hammer“ steht im Godeke-Führer. Das verheißt erfahrungsgemäß nichts Gutes. Oder gerade das – Ansichtssache. Doro und mir ist mal wieder nach einem langen alpinen Abenteuer, und so weckt dieser Kommentar zum Viereselsgrat an der Dent Blanche unsere Neugier. Abgelegen thront diese perfekte Gneis-Pyramide hoch über dem Talkessel von Mountet im hintersten Zinaltal. Der anspruchsvolle Normalweg benutzt die andere Bergseite, nur wenige Bergsteiger verirren sich hierher. Kein Wunder, dass wir kaum Berichte finden. Die wenigen Blogartikel erzählen fast alle von hohem Zeitaufwand, brüchigen Fels und sulzigen Wechten. Abenteuer garantiert.

Mitte Juni ist sehr früh für so eine Tour, die Berichte sind alle vom Hochsommer. Allerdings ist die Schneelage „dank“ rasant fortschreitendem Klimawandel dieses Jahr besonders gering, und so lassen wir es auf einen Versuch ankommen.

Der Zustieg ist beeindruckend. Das gilt nicht nur für die spektakuläre Gipfelkrone des Zinaltals, sondern auch für die Länge. Vier Stunden laufen wir über der traurigen Restzunge des Glacier de Zinal hoch zur Cabane du Mountet, bevor wir endlich einen freien Blick auf die Dent Blanche haben. Puh, sieht so aus, als würde der Berg seinem Namen alle Ehre machen (obwohl der ja eigentlich nur mit der Dent d'Herens verwechselt wurde. Andere Geschichte.). Zeit, dass wir unsere Optionen durchgehen.

Der eigentliche Viereselsgrat führt über den Nordostsporn. Die schwierigen Stellen werden dabei auf der Nordseite umgangen, die noch sehr schneebeladen wirkt. Vielleicht ist also der Südostsporn, der am Col de Zinal beginnt, die bessere Option. Hier weicht man eher in die Südseite aus. Die Ostseite ist völlig schneefrei, südseitig sollte also gar kein Problem werden – denken wir zumindest.

Zum Col de Zinal gibt es wiederum zwei Möglichkeiten: Die direkte Variante präsentiert sich als Steinschlaghölle, bleibt nur die Querung unter der Pointe de Zinal vom Col Durand. Die längste aller Zustiegsvarianten. Na gut, der Plan steht.

Von der Hütte aus müssen wir zunächst zum Glacier Durand absteigen. Und zwar weit. Die Tage, an denen man noch fast eben über den Talkessel laufen konnte sind lange vorbei. Der Gletscher zieht sich aber nicht einfach nur zurück, er hinterlässt uns Fallstricke – in Form von höchst instabilen Moränen. Wir folgen einem markierten Pfad nach Südwesten, aber offenbar dem falschen: Kurze Zeit später enden die Spuren und Markierungen in einer frischen Mure. Einige Fetzen eines alten Geländerseils hängen über uns an den Felsen, doch darunter nur Felsnarben. Es hilft nichts. Helm auf, durchatmen und dann ganz schnell durch die Mure auf den Gletscher hinunter hechten. Zehn angstschweißige Minuten später sind wir aus der Gefahrenzone heraus. Kein Wiederholungsbedarf.

 

Es folgt ein langer Gletscherhatscher zum Col Durand. Kurz vor unserem Ziel hätte der Bergschrund uns fast noch einen Strich durch die Rechnung gemacht, doch ein paar beherzte Schwimmbewegungen später sind wir am Pass. Der Blick reicht hoch bis zum Gipfel der Dent Blanche. Sehr weit hoch. Ein paar Steine aufschichten, Isomatte, Schlafsack und Biwaksack auspacken und fertig ist unsere Bleibe für die kurze Nacht.

Um halb zwei klingelt der Wecker, um zwei Uhr machen wir uns auf den Weg. Mondlicht weist den Weg zur Pointe de Zinal. Die Querung in guten Firn ist harmlos, die darauffolgenden Abstiegsmeter sind eine Mischung aus Schotter, Schlamm und Schnee und kosten Zeit. Am Col de Zinal kündigt bereits ein fahler Dämmerungsstreifen am Horizont das Ende der kurzen Juninacht an.

Es geht bergauf. Wir können sogar ohne Steigeisen klettern. Der Fels ist schlecht, richtig schlecht. Trotz größter Vorsicht löse ich immer wieder Steine und beneide Doro, die im Nachstieg zwar immer wieder in Deckung gehen, aber sich ansonsten weniger benehmen muss. Dann schaue ich nach oben. Was ist das denn? Über mir stapeln sich die losen Steine wie ein übertriebener Jengaturm senkrecht und überhängend nach oben. Umgehen? Sinnlos. Also gerade hinauf. Seeehr vorsichtig taste ich mich den steilen Eiertanz empor. Friends zwischen die losen Steine zu legen wäre nicht nur sinnlos, sondern gefährlich. Die 40 senkrechten Meter müssen also ohne nennenswerte Sicherung gehen. Immerhin finde ich ein paar feste Felsen als Stand und danach legt der Berg sich wieder zurück. Wir folgen nach einem kleinen Turm der Gratkante, bis wir auf einem unglaublich spitzen Grathöcker stehen.

Endlich haben wir einen Blick auf den weiteren Grat und die Südseite. Ein schmaler Firngrat führt in den dahinterliegenden Sattel. Aber was ist das? Weiß denn der Berg nicht, dass er auf der Nordhalbkugel steht? Die Südseite glänzt firngepanzert, während die Ostseite komplett trocken ist. Unsere Flucht vor dem Schnee ging wohl nach hinten los - es scheint so, als wären von nun an Steigeisen angesagt. Über steile Zacken und Türme klettern wir hoch und runter, bis wir am Fuß des großen Gendarms stehen. Immerhin hier ist der Firn für dessen Umgehung sehr willkommen, sodass wir ohne allzu große Probleme bald auf dem Firngrat dahinter ankommen.

Trotzdem zollen die Verhältnisse ihren Tribut, unsere fehlende Akklimatisierung tut ihr übriges. Wir sind bereits über sechs Stunden unterwegs und haben gerade einmal die halbe Tour hinter uns. Aber es hilft nichts, ohne eine Pause geht’s nicht weiter. Wenigstens weiß das Panorama vom Dent d'Herens über Matterhorn, Monte Rosa, Obergabelhorn, Zinalrothorn bis zum Weishorn diese Pause schmackhaft zu machen. Lange können wir uns nicht aufhalten, denn die Wechten im oberen Teil tropfen sicher schon munter vor sich hin.

Beim Weiterklettern stellt sich uns ein steiler Turm in den Weg. Die Umgehung über Bruch und Schneematsch wirkt nicht einladend, bleibt nur der feste direkte Weg – deutlich schwerer als die III+ im Führer und ein gutes Beispiel, dass man auf solchen Routen sehr schnell in schwierigeres Gelände gelockt werden kann. Etwas später sind wir am Vereinigungspunkt angelangt. Hier mündet von Nordosten kommend die originale Gratvariante in unsere Route. Der Grat wird scharf und zackig, dafür der Fels fest. Zumindest bis zum oberen großen Gendarmen. Ich quere zu tief, muss wieder zurück, bevor ich den richtigen Weg durch einen delikaten grauen Kamin finde.

Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Meine kleine Welt reduziert sich auf wenige Dinge: Die Sonne brennt, mir läuft der Schweiß unter der Brille hervor und tropft von meiner Nase in den Schnee. Nach Luft ringen, wühlen, nächster Schritt. Die Höhe hämmert mir erbarmungslos im Kopf. Nächster Schritt. Auch wenn das anders wirken mag – Ich fühle mich pudelwohl. Ist es nicht ein wahnsinniges Privileg, einer solchen unberührten Himmelsleiter die erste Spur des Jahres abzuringen?

Und dann, endlich, ein paar letzte Blöcke und wir stehen am Gipfelkreuz. Es ist kurz vor vier, die Tour hat uns einen fairen Kampf geliefert. Wir bleiben eine halbe Stunde und genießen die Aussicht. Oder, ehrlicher, dämmern einfach ein bisschen vor uns hin. Doch der Abstieg ruft. Eigentlich sollten es maximal drei Stunden zur Cabane de la Dent Blanche sein, aber angesichts unseres Zustands habe ich da so ein Gefühl... Viereinhalb Stunden voller Abklettern, Abseilen, Seil verhängen, Gegenanstiege und natürlich weichen Schnee später sind wir endlich da. Die Hütte hat noch zu, aber der Winterraum ist geöffnet und voller netter Menschen.

Der nächste Tag bringt noch den langen Abstieg nach Les Hauderes und die Rückfahrt mit Bus & Bahn, bevor wir uns mit dem wohlverdienten Döner belohnen können...

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