Winddichtigkeit vs. Atmungsaktivität: Die Fakten
- Knowhow
Wenn du regelmäßig in den Bergen unterwegs bist, ist der Wind dein regelmäßiger Begleiter. Patagonien ist zum Beispiel berüchtigt für seine Windverhältnisse und in größer Höhe kann man immer mit heftigen Stürmen rechnen. Das ist bekannt. Weniger bekannt ist, wie man Wind am besten abwehrt. Hier kommen die beiden Produkteigenschaften Winddichtigkeit und ihr Gegenstück, die Atmungsaktivität, ins Spiel.
Atmungsaktivität
Die Atmungsaktivität von Bekleidung wird anhand der Luftdurchlässigkeit eines Materials gemessen. Lässt ein Material viel Luft durch, ist die Atmungsaktivität hoch, die Winddichtigkeit gering. Lässt es wenig Luft passieren, hat es eine niedrigere Atmungsaktivität und hohe Winddichtigkeit. Winddichte Stoffe fühlen sich bei windigem Wetter wärmer an, während Materialien mit höherer Luftdurchlässigkeit im Wind kühler sind. Dafür haben letztere eine höhere Atmungsaktivität, sodass sich weniger Feuchtigkeit vom eigenen Schwitzen ansammelt.
Im Zustieg zum Fitz Roy, während einer Patagonien-Expedition 2020 mit Raphaela Haug, Babsi Vigl und Laura Tiefenthaler. Foto: Raphaela Haug
Wieviel Atmungsaktivität braucht‘s?
Dafür gibt es keine pauschale Antwort. In manchen Situationen wünscht man sich eine Art Raumanzug, der alle äußeren Wettereinflüsse abhält. Bei solchen Bedingungen ist es am besten, wenn deine Bekleidung eine geringe Atmungsaktivität hat und so viel Wind wie möglich abhält. In den meisten Situationen ist es jedoch besser, wenn das Material luftdurchlässig ist, weil das den Feuchtigkeitsstau in der Kleidung reduziert. Eine zu hohe Atmungsaktivität führt allerdings dazu, dass du im Wind leichter frierst. Letztendlich kommt es darauf an, wofür das jeweilige Kleidungsstück gedacht ist: Für eine Jacke zum Sichern, die das Wetter komplett abhalten soll und in der du wahrscheinlich nicht oft schwitzen wirst, ist eine minimale Atmungsaktivität (und maximale Winddichtigkeit) wahrscheinlich am besten. Für einen Midlayer, der bei ruhigem Wetter als äußere Schicht und bei aufkommendem Wind unter einer Hardshell getragen wird, ist eine hohe Atmungsaktivität von Vorteil, um die Schweißbildung im Inneren des Kleidungsstücks so gering wie möglich zu halten.
Bei vielen Normen gibt es nicht nur eine einzige Messmethode. So wird auch die Luftdurchlässigkeit mit einer Vielzahl unterschiedlicher Methoden bestimmt. Um die Ergebnisse zuverlässig vergleichen zu können, ist es wichtig, dass sie mit der gleichen Testmethode ermittelt wurden. Die Tests beruhen alle auf dem gleichen Prinzip, nämlich der Messung der Luftmenge, die unter einem bestimmten Druck durch ein Stück Stoff hindurchgeht. Wir verwenden die Norm ISO 9237-1995 mit einer Testfläche von 20 cm2 und einem Druck von 100 Pascal. Wir geben die Werte in mm pro Sekunde an. „CFM“ (= cubic feet per meter = Kubikfuß pro Meter) ist eine übliche Einheit für die Angabe von Luftdurchlässigkeitswerten – aber auch eine Einheit, die in die 1950er-Jahre gehört... Unabhängig von Labortests gibt es auch eine praktische Methode, um die Luftdurchlässigkeit bzw. Winddichtigkeit eines Materials zu testen: Du kannst versuchen, mit dem Mund durch das Material zu blasen (in Zeiten von Corona solltest du das jedoch nur bei deiner persönlichen Bekleidung tun). Mit ein wenig Übung bekommst du eine recht gute Vorstellung davon, wie winddicht etwas ist. Das ist übrigens eine häufig verwendete Methode in unserem Büro.
Foto: John Griffiths
Was wirklich zählt
Es ist ziemlich verlockend, sich an Zahlen zur Atmungsaktivität oder Winddichtigkeit aufzuhängen: Sie sind wunderbar quantifizierbar und können miteinander verglichen werden. Wenn es so simpel wäre, könntest du einfach das Produkt mit den „besten“ Werten auswählen. Wir tragen aber Kleidungsstücke, keine Stoffbahnen. Sich eine Jacke oder Hose nur wegen der Luftdurchlässigkeit zu kaufen, wäre wie der Kauf eines Autos aufgrund der Größe seiner Räder. Viel wichtiger sind unserer Meinung nach Faktoren wie Passform und Ausstattung. Es spielt nämlich keine Rolle, wie winddicht das Material ist, wenn der Wind durch schlecht geschnittene Ärmel, falsch positionierte Reißverschlüsse oder einen ausgeleierten Saum bläst. Wir empfehlen daher Bekleidung und Ausrüstung immer von einer Marke zu kaufen, die sich mit der Aktivität und den Bedingungen auskennt, in der du das Produkt einsetzen willst. Denn dann kannst du darauf vertrauen, dass die Produktentwickler und Designer einen Stoff ausgewählt haben, der die unzähligen Anforderungen ausbalanciert. Die Atmungsaktivität ist nur ein Faktor des Stoffs, und der Stoff ist nur ein Faktor des gesamten Kleidungsstücks.
Uisdean Hawthorn kämpft in der Route Cryophobia (Kanada) gegen starken Wind an. Foto: Brette Harrington.