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Unterwegs in Kirgistan: Abschlussexpedition Naturfreunde Alpinkader

Der Alpinkader der österreichischen Naturfreunde war im August 2022 nach drei Jahren Vorbereitung für vier Wochen auf Abschlussexpedition in Kirgistan. Mit dabei waren: Andreas, Anna, Matthias, Michael und Severin, sowie ihr Trainer Timo.

Text & Fotos: Naturfreunde Alpinkader

Anreise & Ankunft

Nach drei Jahren Ausbildung im Alpinkader (die wie im Flug vergingen) und vielen Monaten Reiseplanung (die eher zäh waren) starteten wir am 30.07.22 auf unsere Abschlussexpedition nach Kirgistan. Wir waren aufgeregt, gespannt, gepäckstechnisch vollkommen überladen aber vor allem eines: voller Vorfreude! Endlich ging es los, unsere Abschlussexpedition, auf die wir uns schon so langer freuten.

Am frühen Morgen trafen wir: Matthias, Andi, Mike, Sevi und Anna, sowie unser Instruktor Timo, uns auf dem Wiener Flughafen. Bereits dort zeigte sich, dass wir mit unseren zwei riesigen Gepäcksstücken pro Person und den orange/roten Mountain Equipment Tupilak Rucksäcken DER Blickfang der Reisenden waren.

Nach vielen Stunden Flugzeit, sowie einigen Schweißtropfen und Nerven, da Anna mit ihrem Notpass beinahe nicht nach Kirgistan einreisen durfte und nach langer Wartezeit und Zeit des Bangens noch einen sportlichen Sprint durch den Flughafen hinlegen musste, kamen wir in Osh, Kirgistan, an. Unsere Agentur IMTC Travel holte uns ab und brachte uns zur Unterkunft, wo wir erstmal zwei Tage verbringen wollten. Letzte Besorgungen mit unserem Koch Kirill tätigen und langsam in die fremde und sehr spannende Kultur eintauchen, stand auf der Tagesordnung. Bereits nach kurzer Zeit waren wir überrascht von der Gastfreundschaft der Kirgisen.

Am dritten Tag standen die Jeeps für den Transfer in das Surmetash Valley um 9:00 bereits vor unserer Tür, und wir luden unsere Bergsteiger Ausrüstung (50kg pro Person) und Lebensmittel für knapp drei Wochen in die Autos ein. Nach einer anfangs ruhigen Fahrt wurden wir, je näher wir zum Ziel kamen, immer nervöser, weil im Vorfeld nicht geklärt werden konnte, ob die Straße die letzten Kilometer zu unserem geplanten Basislager überhaupt befahrbar sein würde. Wenig Informationen, kaum Infrastruktur und viel Entdeckungslust - wir starteten wohl endlich in das Abenteuer, welches Expedition genannt wird. Knapp 25km vor unserem Ziel war dann Schluss, mehrere Erdrutsche machten die Straße für Autos unpassierbar. Etwas niedergeschlagen errichteten wir in der Nähe ein provisorisches Lager um die Aufräumarbeiten, die uns von Einheimischen für die nächsten Tage zugesichert wurden, abzuwarten. Sehr erleichtert konnten wir mit der Hilfe eines Einheimischen bereits zwei Tage später weiter ins Tal hineinfahren und unser Basislager auf einer herrlich gelegenen Wiese neben dem Surmetash River auf ca. 2000m aufschlagen.

Gemeinsame Touren

Voll motiviert starteten wir eine erste Erkundung des Tales und wählten als Akklimatisierung Ziel den auf unseren Karten mit 4701m hohen EypcyH aus. Leider war die Felsqualität am abschließenden Gipfelgrat sehr brüchig, weshalb wir auch aus zeitlichen Gründen auf den Gipfel verzichteten.

Etwas erschöpft und mit dröhnendem Kopf von der starken Sonneneinstrahlung und Höhenluft begannen wir gleich mit dem Abstieg ins Haupttal zum Fluss. Der Plan stand fest: wir wollten am nächsten Morgen bei möglichst geringem Wasserstand eine Seilquerung installieren, die neben den teilweise weggespülten Brücken die einzige Möglichkeit sein sollte, um die andere Talseite zu erreichen. Gesagt, getan! Als Matthias und Timo nach einer spektakulären Flussüberquerung die andere Seite erreichten, und wir alle gemeinsam erfolgreich eine “Tyrolean traverse” eingerichtet hatten, war das Strahlen sehr groß! Endlich konnten wir die andere Talseite erreichen und waren somit ein kleines Stücken näher am “ursprünglich geplanten” Basecamp.

Am folgenden Ruhetag im Basislager wurde noch eine Boulderrunde auf den umliegenden Blöcken eingelegt und dann ging’s wieder mal ans Rucksack packen. Tupilak her, Material rein, Kopf aus und viele, viele Meter machen. Die Zustiege pendelten sich immer zwischen 20 und 40km und 1500-2500hm ein, bis wir an einen Punkt gelangten, von dem wir mit dem eigentlichen Klettern oder Bergsteigen beginnen konnten. Zustiegsfaulheit war hier nicht angebracht.

Der Plan für die kommenden Tage stand bereits: Wir wollten den 5227m hohen Cyyk, über eine der (von uns vermuteten) Schnee/Eisrinnen auf der Südseite besteigen. Nach zwei Tagen Zustieg erreichten wir den Gletscher unterhalb unseres Ziels. Als wir aufgrund der bewölkten Nacht und fehlenden Abstrahlung unsere Tour um einen Tag verschieben mussten, fanden wir mit einer Gratüberschreitung auf einem (laut unserer Karte unbekannten) Gipfel eine unerwartete Draufgabe.

Tag darauf widmeten wir uns wieder unserem Ursprungsziel. Um 2:30 Uhr läutete wieder der Wecker und wir stapften los. 600m Eisrinne standen uns bevor. Es wurde fleißig gepickelt und am laufenden Seil hochgespult, bis wir den Grat und somit die letzten drei Seillängen zum Gipfel erreichten. 5200m - die Aussicht ein Genuss! Wir alle freuten uns, dass uns die am Vortag studierte Linie so perfekt zum Gipfel führte. Jetzt hieß es Gas geben, denn auf 5200m war es kalt und die baldige Sonnenstrahlung bedeutet in so einer Rinne Steinschlaggefahr. Alle wieder heil unten angekommen, freuten wir uns über unseren Erfolg und machten uns auf den Rückweg. Am 14.08. kehrten wir heil, hungrig und mit vielen Eindrücken ins BC zurück, wo uns unser Koch Kirill mit ausreichend Essen und frischgebackenem Brot begrüßte.

Nach den gemeinsamen Touren entschieden wir uns in zwei kleinere Gruppen aufzuteilen: das „Team Eis“ Severin und Michael und das „Team Fels“ Anna, Matthias, Andreas und Timo.

Team Fels

Anna, Andi, Matthias und Timo hatten vor, dem Sauk-Dzhailau Gletscher einen Besuch abzustatten und sich dabei eine bestehende Route einer Expedition von 2015 anzuschauen. Schwer bepackt mit Klettermaterial und Essen für vier Tage machten wir uns auf den Weg. Über die installierte Seilbrücke konnten wir abenteuerlich den Fluss barfuß überqueren und uns mühsam über wegloses Gelände zum Gletscher hochwuchten.

Auf einer Gletschermoräne schlugen wir unser Lager auf und überlegten uns eine Taktik für den kommenden Tag. Wir waren etwas überrascht, dass es sich bei dem geplanten Grat eher um eine steile Wandkletterei handelte. Im Morgengrauen suchten wir nach einem kletterbaren Einstieg. Nach einem erfolglosen Versuch wurden wir fündig, aber bereits in der nächsten Länge ging es zur Sache und der rote Punkt war nur noch auf den aufgeschürften Knien zu finden. Die nächsten Meter bis zu einem soliden Standplatz konnten wir mit noch überwinden, aber bis dahin hatten wir einige Stunden gebraucht. Nach und nach war das Nervenkostüm gemeinsam mit dem sandigen Gestein auseinander gebröselt. Nüchtern bereiten wir den Rückzug vor, ohne irgendwelche Meter der bestehenden Route geklettert zu sein. Wir entdeckten einen Bolt, der vermutlich von den russischen Erstbegehern zum Abseilen verwendet wurde. Chapeau für diese Erstbegehung!

Zurück bei den Zelten beschlossen wir eine tiefe gelegene Felswand anzugehen. Diese sollte nach dem Motto „leichtes Gepäck und kurzer Zustieg” machbar sein. Nach sechs Seillängen erreichten wir den aussichtsreichen Gipfel und benannten unseren Weg nach dem Lieblingsmotto unseres Kochs Kirill mit „Why not”. Die Route verläuft in organischer Linienführung in ansprechender Freikletterei und verlangt alpinen Spürsinn. Zufrieden kehrten wir zum Basecamp zurück.

Während Sevi und Mike in Eis und Schnee unterwegs waren, suchten wir zum Abschluss der Expedition nach einer weiteren Felskletterei, in der unsere Kletterschuhe zum Einsatz kommen konnten. Das Ziel war schnell klar: Ein Pfeiler, der uns beim Zustieg zum 5000er bereits ins Auge gestochen war.

Leider zeichnete sich eine schlechte Wetterphase ab. Bereits am Zustiegstag fixierten wir die ersten zwei Seillängen und waren sofort von der Felsqualität und den Rissstrukturen dieses formschönen Pfeilers begeistert. Am nächsten Tag starteten wir früh und arbeiteten uns Seillänge für Seillänge großteils freikletternd nach oben. Das Wetter verschlechterte sich jedoch zunehmend und ab Mittag wurde das Haulen von Graupelschauern begleitet. Mitten in der Wand fanden wir einen kleinen Absatz, der für drei Leute ausreichend Platz bot. Wir hatten den steilen Pfeilerbereich schon geschafft und da die Zeit noch reichte, fixierten wir noch zwei weitere Seilllängen. Zurück auf unserem Ledge bereiteten wir uns auf eine ungemütliche Biwaknacht vor, die wir trotz Schneefall halbwegs gut gelaunt überstanden. Wir ahnten, dass wir nicht mehr weit unter dem Pfeilerkopf sein konnten, und mit Timo fand sich ein nervenstarker Vorsteiger.  Nach zwei Stunden war auch die nächste Seillänge geschafft und wir stiegen tatsächlich aus der steilen Wand auf ein nettes Plätzchen am Pfeilerkopf aus, hier hätten wir fürstlich genächtigt.

Da wir unsere Route bereits im Aufstieg mit soliden Ständen eingerichtet hatten, standen wir nach 10 Abseilern und somit 10 handgeschlagenen Bolts wieder am Wandfuß. Die „Austrian Direct” auf den Naturfreunde Pfeiler war vollbracht.

Team Eis

Während die anderen sich für den felsigen Teil des Gebiets entschieden haben, planten Severin und Mike im hochalpinen Schnee- und Eis-Terrain unterwegs zu sein. Sie wollten den 5227m hohen Gipfel entweder direkt über die große Nordwand oder über verschiedene Linien in Eis, Schnee und Fels besteigen.

Der Aufstieg in den Ziel-Kessel, eine Qual!

Es handelte sich dabei um mühsames, steiles Gelände im hüfthohen Gestrüpp, ohne Steig und mit schwerem Rucksack. Trotz der geplanten Biwaknächte (es sollten neun werden) hatten wir auf ein Zelt verzichtet. Keine dieser Nächte sollte unter 3200m sein. Schon beim Aufstieg überraschte uns der Regen. Letztendlich fanden wir ein geeignetes und trockenes Plätzchen für die Nacht. Der Himmel lockerte auf und wir sahen zum ersten Mal die gewaltige Nordwand.

Am nächsten Morgen querten wir über eine Scharte auf die Ostseite des Kessels. Am Pass angekommen, entschieden wir auf ca. 4500m zu biwakieren. Da wir das Tagesziel nicht erreicht hatten, kam auch die Nordwand zeitlich nicht mehr in Frage. Die Nacht selbst war zwar kalt, aber dank unserer hervorragenden Schlafsäcke von Mountain Equipment auch wieder angenehm warm.

Am dritten Tag unserer Tour fiel uns auf, dass das Essen sehr knapp kalkuliert worden war: pro Tag nur ein Travellunch und zwei bis drei Müsliriegel pro Mann – mehr hätte aber noch schwerere Rucksäcke bedeutet.

Das heutige Ziel war eine Nord-Ost ausgerichtete Steil-Flanke ca. 300m zu erklettern und anschließend über einen leichteren Grat zum Gipfel emporzusteigen. Leider kam es nicht so weit. Nachdem sich während des Vorstiegs mehrere Risse in der Eisplatte bildeten, mussten wir den Rückzug antreten.

Der Abstieg von der Scharte war genauso unangenehm wie der Aufstieg. Mit kurzer Hose, Steigeisen und Gurt musste zwei weitere Male abgeseilt und eine Rinne gequert werden, welche in kurzen, unregelmäßigen Abständen mit Kühlschrank-großen Geschossen von oben gefüttert wurde.

Endlich beim Depot angekommen, freuten wir uns auf unsere spärliche Mahlzeit. Wir waren müde und der nächste Tag wurde zum Faulenzen in der Sonne, tiefsinnigen Gesprächen und Energie auftanken genutzt, denn die nächsten Tage würden anstrengend und vor allem hungrig werden!

Am fünften Tag marschierten wir mit noch leichterer Ausrüstung, da unser Depot mit „unnötigem“ Material aufgefüllt wurde, zum Highcamp auf 4500m, auf der Südseite des Hauptgipfels hoch.

Dort oben würden wir zwei spannende Tage, kalte Nächte und ein weißes Wunder erleben. Mit zusammengezippten Schlafsäcken, einem Notfallbiwaksack über uns gelegt, schützten wir uns in der Nacht vor dem Schneefall. Im Dunkeln kletterte jeder für sich ca. 650hm eine vereiste Steilrinne (ca 60-70°) hinauf; so kamen wir zügig am Sattel oben an. Lediglich die letzten paar Meter mussten wir sichern. Endlich, kurz vor 08:00 Uhr standen wir allein auf dem 5227m hohen Gipfel und waren glücklich über unsere Leistung. Die Abseilfahrt via Abalakovs lief problemlos.

Die nächste Nacht war mit sieben Stunden Schneefall noch schlimmer als die vorherige. Unter vier Zentimeter Neuschnee, krochen wir am nächsten Tag aus unseren Schlafsäcken hervor. Geplant war ein erneuter Versuch einer Erstbegehung: Ein vereister Nord-Gully auf den 4982m hohen Gipfel. Leider mussten wir auch hier aufgrund der schlechten Verhältnisse umdrehen. So ist das eben im Leben eines Alpinisten: Oft will man, kann aber nicht. Aber besser einmal öfter umdrehen als einmal zu wenig.

Aufgrund der Schlechtwetterprognose für die nächsten Tage und den zwei Biwaks mit Schneefall auf 4500m, verzichteten wir auf einen weiteren Versuch und stiegen in zwei Tagen zum Basecamp ab.

Auf dem Rückweg waren wir überglücklich, denn erstens hatten wir trotz allem Glück mit dem Wetter gehabt, zweitens hätte uns, wenn wir eingestiegen wären, das wirklich schlechte Wetter direkt in der großen Nordwand erwischt und drittens hatte das Hungern endlich ein Ende.

Abschied

Langsam aber sicher rückte der Tag der Abreise entgegen und wir kehrten ins Basislager zurück, packten alles zusammen und verabschiedeten von dem Ort, der uns mit der Zeit schon sehr vertraut wurde und ans Herz gewachsen ist. Ein wunderschöner Fluss, ab und an Besuch von freundlichen Ziegen und Eseln, ein unglaublich herzlicher einsamer Bauer nebenan und wilde Natur mit Eis, Fels und Gletscherzungen rundherum - “Alpinherz”, was willst du mehr! Per Jeep Transfer ging es zurück nach Osh, wo wir vor unserem Rückflug noch einen lustigen Abend mit unserem Koch verbrachten, und am Basar den völligen Kontrast zu den ruhigen letzten Wochen in den Bergen erlebten.

Resümee

Danke Kirgistan, für vier abenteuerliche Wochen, viele tolle gemeinsame Stunden, einige spannende Klettermeter in Eis und Fels und unvergessliche Momente mit den sympathischen Kirgisen und deiner schönen Natur!

 

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