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Peuterey Integral | Der längste Grat der Alpen

  • Bergsteigen
  • Robert Grasegger
  • Team

Text: Tom Livingstone

Fotos: Uisdean Hawhtorn

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„Was ist die krasseste Route, die du dir vorstellen kannst?“

Uisdean und mir fällt es nicht schwer uns neue Alpinkletter-Ziele auszudenken. Wir waren schon in so vielen großen Routen als Seilschaft unterwegs. Auf den unzähligen Autofahrten auf französischen Autobahnen in Richtung Alpen sammelten wir mindestens genauso viele Ideen. Dieses Mal gibt es jedoch einen externen Punkt zu berücksichtigen: Wir sollen eine Route für ein Fotoshooting zum Thema „Sommer Alpinismus“ wählen.

Da der Kern der Marke Mountain Equipment das alpine Klettern ist, wollen wir natürlich eine wirklich alpine Route. Gleichzeitig wollen wir nicht die 5000. Fotos vom berühmten Cosmiques Grat am Mont Blanc. Daraus entsteht schließlich die Idee über die Route Peuterey Integral in zwei Tagen auf den Mont Blanc zu klettern. Mit dazu kommt neben Uisdean Hawthorn auch Robert Grasegger, ebenfalls aus dem Mountain Equipment Team. Wird sicher lustig werden in einer Seilschaft mit einem Engländer, einem Schotten und einem Deutschen, denke ich mir…

Ich treffe Robert und Uisdean an einem Parkplatz in Chamonix. Es ist so heißt, dass der Asphalt flimmert. „Hallo“, sagt Robert mit nicht überhörbarem bayerischen Akzent, und streckt uns grinsend eine Hand hin. „Ok“, nickt Uisdean – überraschenderweise ohne seine üblichen schottischen Flüche. In diesem Moment bin ich mir sicher, dass wir ein perfektes Team sein werden!

Ein paar Fakten zur Peuterey Integral reichen, um eine Vorstellung von dieser anspruchsvollen Route zu bekommen: Mit 4.500 Höhenmeter ist es die längste Gratkletterei in den Alpen. Man erreicht den 4808m hohen Mont Blanc dabei über eine offensichtliche, atemberaubende Linie, gleich einem Drachenrücken aus zerklüftetem Fels und Schnee über viele herausragende Spitzen. Die Kletterschwierigkeiten sind durchgehend moderat, aber trotzdem fordernd (streckenweise ca. 6a?). Von jedem der vorgelagerten Spitzen muss man abseilen, was relativ viel Zeit braucht. Daher ist die Route auch so lang, weil man permanent die Höhe verliert, die man gerade hochgeklettert ist. Zum Schluss wartet ein schmaler Schneegrat, der nochmal volle Konzentration erfordert.

Kurzum: Die Peuterey Integral Route ist fast wie die Speisekarten der vielen berühmten Burger Bars in Chamonix: Eine große Auswahl an Leckereien. Denn es ist eine klassische alpine Route mit allem, was man sich wünschen kann, und als Beilage gibt’s fantastische Panoramablicke.

Alles beginnt in Italien mit einer Pizza (was sonst?!) in der kühlen Abenddämmerung. Danach steigt das neu gebildete, internationale Team mit drei knallorangenen Tupilak Rucksäcken zur Biwakschachtel bei der Aiguille Noire de Peuterey. Nach wenigen Stunden Schlaf verlassen wir diese schon wieder, mit Stirnlampen zum Einstieg unserer Route. Uisdean ist voll in seinem Element und macht Fotos und Videos, während er uns gleichzeitig vorbildlich coacht und dabei daran erinnert, dass wir ja nicht nur zum Klettern (sondern auch für das Fotoshooting) hier sind.

An dieser Stelle will ich Uisdeans anspruchsvolle Aufgabe als Fotograf hervorheben. Alpinklettern ist immer anders – mal gehetzt von aufziehenden Wolken, mal nervenaufreibend in brüchigen Passagen oder einfach extrem ausgesetzt. Auf jeden Fall willst du dabei nicht permanent stehen bleiben. Und während Robert und ich diskutierten, welches der leichteste Löffel für unser Gepäck sei, packt sich Uisdean sein sicherlich einige Kilos wiegendes Kameraequipment in den Rucksack. Damit beladen macht er einen super Job, mit Klettern, Sichern, Materialhandling UND schließt „nebenbei“ auch noch fantastische Fotos in einer der coolsten Routen der Alpen.

Wir starten unsere Kletterei mit Bergschuhen am Fuße der Aiguille Noire de Peuterey – zunächst ungesichert nebeneinander, noch im Dunkeln. Unsere Stirnlampen tanzen wie Laserpunkte über die Felsen. Immer auf der Suche nach der logischsten Linie, arbeiten wir uns durch den grandiosen Granit weiter nach oben. Während der Vorbereitung hatten wir gelesen, dass diese Route bereits 1934 erstbegangen wurde – in Anbetracht der damaligen Ausrüstung und Möglichkeiten eine unfassbar frühe und beeindruckende Leistung! Wir nehmen uns vor, es wie die Erstbegeher zu machen: „Glaub an dich und dass dieser Weg nach oben führt!“.

Als wir unser 60m Einfachseil im schwachen Morgenlicht aus dem Rucksack holen, sieht es ganz schön ausgewaschen aus. Im Hintergrund ist das eifrige Klicken von Uisdeans Kamera zu hören. Und immer wieder Anweisungen wie „Stop, nach rechts!“. Nachdem ich in letzter Zeit versucht habe etwas Deutsch zu lernen, versuche ich Robert damit zu beeindrucken – was nicht ganz so funktioniert. Meist kommt von ihm nur ein „Was? I don’t understand you.“ zurück. Also setzt unser dreisprachiges Team (Englisch, Deutsch, Schottisch) doch wieder auf Englisch zur Kommunikation.

Mit jedem Meter, den die Sonne höher steigt, wird es wärmer. Bald haben wir alle wärmenden Schichten ausgezogen und klettern nur noch mit Baselayer. Die Sonne sorgt nicht nur für Wärme, sondern auch für Licht und zeigt uns die italienische Seite des Mont Blanc – seine ruhigste und schönste Seite.

In Wechselführung klettern wir weiter und weiter nach oben über goldenen Granit. Da wir als Dreier-Seilschaft unterwegs sind, haben wir relativ leichte Rucksäcke und klettern die meiste Zeit zusammen. Mal geht es direkt am Grat, mal links oder rechts davon in leichterem Gelände. Wenn Robert führt und Uisdean und ich eine leichtere Variante entdecken, schreien wir ihm als Hilfe ein „links!“ oder „rechts!“ nach oben. Roberts Antwort ist ein Daumen nach oben und ein deutsch-englisches „Zanks, dudes!“.

Nach einer kurzen Abseilstelle liegen einige Seillängen technischer Kletterei vor uns. Ich schlängele mich an einer anderen, italienischen Seilschaft vorbei, die sich gerade lebhaft am Stand unterhält. Ich sage „Ciao!“ und sie grüßen mit diesem typisch italienischen, coolen Lächeln zurück - wie wenn sie uns damit sagen wollten, „Ja, wir sind am Peuterey, aber wir müssen jetzt einfach kurz anhalten und diese Aussicht genießen“. Warum auch nicht!

Wir erreichen den Gipfel der Noire, geben der Madonna Statue einen kurzen Klaps und seilen gleich wieder auf die andere Seite ab. Früher waren diese Abseilstellen berüchtigt. Mit Bohrhaken alle 29 Meter kann man das heute nicht mehr sagen (sind wir gerade beim Alpinklettern?). Dank der Haken hat uns ein 60m Einfachseil gereicht. Und da wir sie auch benutzt haben, beschweren wir uns jetzt auch nicht über sie…

In der sengenden Hochgebirgshitze dieses sonnigen Nachmittags lassen wir mit trockenen Kehlen und leeren Flaschen die brüchigen Dames Anglais ohne Klagen aus. Als wir endlich das Biwak Craveri erreichen, ist der Entschluss klar, dass wir heute hierbleiben. Wir kochen noch schnell vor dieser „Sardinenbüchse“, bevor wir uns zu dritt hineinzwängen. Zwei Franzosen teilen den sowieso begrenzten Platz mit uns. Ich glaube sie hatten sich schon über eine ungestörte Nachtruhe gefreut, bis wir kamen – sorry!

Am nächsten Morgen geht es wieder mit Stirnlampen los. Die Routenfindung ist kompliziert und die Kletterei mit klammen Fingern ebenso. Doch schon als es dämmert, erreichen wir leichteres Gelände. Sofort schreit Uisdean „Halt!“ und holt seine Kamera wieder hervor. Das Licht wechselt jetzt minütlich von golden zu orange zu gelb zu bläulich, gleichzeitig verschwinden die Sterne am Himmel einer nach dem anderen. Wir bleiben stehen und betrachten dieses atemberaubende Farbespiel, während die Felsen um uns herum langsam Farbe annehmen und der erste Sonnenstrahl den Gipfel des Mont Blanc, rund 1000 Meter über uns, trifft.

Wir erreichen den Gipfel der Aiguille Blanche de Peuterey. Wenig später, am berühmten, halbmondförmigen Grat, hat uns die unbarmherzige Hitze der Sonne erreicht. Jetzt erinnern uns die Alpen unmittelbar an den Klimawandel. Prompt sehen wir einige furchterregende Felsstürze. So schlimm die Hitze auch sein mag, denke ich mir, für den Schotten Uisdean muss sie noch schlimmer sein. Dieser Gedanke baut mich irgendwie auf und mit neuem Schwung geht es weiter.

Nach einem fotogenen letzten Gratabschnitt erreichen wir endlich den Gipfel des Mont Blanc! High Five – der Aufstieg ist super gelaufen! Ich bin mir bewusst, dass das nicht immer so ist, erst recht nicht, wenn man währenddessen ein Fotoshooting macht. Es war sehr heiß und der ein oder andere Steinschlag pfiff für mein Gefühl unangenehm nah an uns vorbei – aber ansonsten haben wir das ganz gut hingekriegt.

Ich kam direkt aus UK hierher – vollkommen un-akklimatisiert für diese Höhe. Dann ging es direkt los und so ist es kein Wunder, dass mir der Kopf hier oben ganz schön brummt – sehr zur Belustigung der anderen. Aber das unfassbare Panorama der spitzen Gipfel und Pfeiler, wie Frêney und Grand Pilier d’Angle, entschädigen für alles. Am Gipfel frage ich Robert, der den ganzen Sommer in den Alpen unterwegs gewesen war, ob er die Höhe denn gar nicht merke? „Ich merke eigentlich gar nichts. Ich fühl mich super!”, antwortet er ganz beiläufig.

Wir steigen über die Goûter Route ab, da sie uns an diesem heißen Nachmittag sicherer erscheint als die Querung der Seracs bei der Trois Monts Route. Am nächsten Tag laufen wir mit unseren schweren Bergschuhen wieder in Chamonix ein. „Wir brauchen Burger!“, sage ich. „Und Tee!“, ergänzt Uisdean. Robert hat andere Sorgen: „Und wir müssen meinen Bus aus Italien zurückholen!“.

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Making of...

Im Video seht ihr die englisch-schottisch-deutsche Seilschaft in Aktion: 

Im folgenden (englischen) Beitrag berichtet Kameramann und selbst Mountain Equipment Teammitglied Uisdean Hawthorn von dem doch etwas anderen Fotoshooting am längsten Grat der Alpen: 

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