Elefanten, scharfes Essen und … Eisklettern? | Eisklettern in Indien
- Klettern
- Susi Süßmeier
- Team
Text: Susi Süßmeier
Bilder: (im Text) Susi Süßmeier, Prerna Dangi, Praveen Jayakaran, Ashish Sharma, (Feature-Bild oben) Prerna Dangi
________
Nein, Elefanten gab es keine. Eis schon, aber auch zu viel Schnee. Dafür war das Essen scharf! :-) Gemeinsam mit einigen Indern war ich den ganzen Januar im Spiti Valley, Himachal Pradesh (in der Nähe der tibetischen Grenze) zum Eisklettern. Zu viel Schnee hinderte uns ein wenig am Eisklettern, ein tolles Erlebnis war es trotzdem! Aber der Reihe nach:
~ Teil 1: Die Anreise - Kälte ist relativ. ~
Dicker Nebel und +6 °C begrüßen mich bei meiner Ankunft in Delhi. Frierend sitzt Prernas Familie, in Daunenjacken gepackt, erst um den kleinen elektrischen Heizkörper, dann um eine Feuerschale im Wohnzimmer. Die Häuser in Delhi sind bestens für glühende Hitze ausgerüstet, Zentralheizungen werden normalerweise nicht benötigt. Jahrhundertkältephase heißt es in der Zeitung. -20°C lassen sich bei feiner Wärme vor dem Ofen bedeutend besser aushalten, wie ich einige Tage später feststellen werde.
© Praveen Jayakaran (oben rechts), Prerna Dangi (links), Susi Süßmeier (unten rechts)
Prerna ist eine Kletterin und Alpinistin aus Delhi, die ich 2016 in Schottland kennen gelernt habe. Beruflich führt sie manchmal Wanderungen, schreibt Bücher und möchte einmal Kletterlehrerin werden. Vor fünf Jahren hat sie gemeinsam mit ein paar anderen Kletterern das Eisklettern in Indien „entdeckt“ und ist seitdem begeistert dabei, eine Szene dafür aufzubauen. Nach einem Besuch bei der „Indian Mountaineering Foundation“, wo wir einige Taschen museumsreifes Leihmaterial zur Verfügung gestellt bekommen, geht es aus dem bunten Treiben Delhis in Richtung Himalaya. Das Taxi ist voll bepackt, nach vier Stunden Fahrt stoßen ein paar weitere Eiskletterer zu uns und es wird auf ein Sprinter-ähnliches Gefährt gewechselt (Tempo Traveller, „Force Motors“ India – keine Anschnallgurte, keine Heizung und sonstigen Schnickschnack). Weitere zwölf Stunden später erreichen wir Kalpa, unseren Zwischenstopp für die kommenden zwei Nächte. ‑7°C und keine Heizung erwecken auch hier ein wenig Biwakflair. Sehnsüchtig denke ich an meinen Holzofen in Innsbruck zurück… Nach erfolgreicher Visum-Ansuche und der Ankunft einiger weiterer Eiskletterer geht es weiter nach Kaza, der größten Siedlung im Spiti-Tal. Eine Zehn-Stunden-Fahrt steht uns bevor, auf Straßen, die hoffen lassen, dass das Eisklettern die kommenden Wochen weniger gefährlich ist.
„SHOOTING STONE
BE CAREFUL
LIFE IS PRECIOUS“
Das steht auf einem Schild an der Straße, die zur Abwechslung nicht asphaltiert ist. Rechts geht es abbruchartig hunderte Meter zum Sutlej Fluss hinunter. Über uns befindet sich eine Felswand mit riesigen, nicht stabil wirkenden Felsbrocken. Mit beeindruckender Ruhe steuert unser Fahrer Mingmar den Bus zwischen den Schlaglöchern vorbei, das Auto schaukelt dabei wie ein Schiff, denn das gesamte Gepäck befindet sich neuerdings auf dem Dach. Ich hoffe, der Fahrer weiß, was er tut, und lege mir vorsichtshalber Fluchtpläne bereit. Und dann erreichen wir endlich Kaza. In Tsering Boths warmem Wohnzimmer in der Sakya Abode merkt man gar nicht, dass es draußen -21°C hat. Die nächsten sieben Tage ist das die Home Base des „Piti Dharr“ Eiskletterfestivals.
~ Teil 2: „Piti Dharr“: Eisklettern verbindet. ~
Ungefähr 25 motivierte Eiskletterer und Bald-Eiskletterer haben sich in der Sakya Abode eingefunden. Darunter sind zwei Jungs und vier Mädels Anfang 20 aus dem Spiti-Tal, Inder und Inderinnen aus ganz Indien sowie ein Deutscher. Zudem die Organisatoren, Volunteers für die Dokumentation und den Social Media Auftritt sowie Steve und ich, die als „Instructors“ mithelfen werden. Wie das Ganze zustande kommt? Das ist eine lange, aber beeindruckende Geschichte! Auf einem Foto entdeckte Bharat Bhushan einen Eisfall in Spiti und beschloss, dass er diese, in anderen Ländern bereits seit Jahren praktizierte Sportart, nach Indien bringen möchte. Gemeinsam mit der damals 21-jährigen Prerna und Karn machten sie sich im Januar 2015 für ihre Mission auf den Weg ins Spiti-Tal. Ihr Vorwissen? Karn war zwei Tage in Amerika auf einem Eiskletterfestival und hat dort Toprope-Klettern kennengelernt. Prerna und Bharat hatten YouTube als Lehrmeister. Und so brachten sie sich über die letzten Jahre das Eisklettern selbst bei, denn es war ja keiner da, der es besser konnte. Aus diesem Hintergrund entstand auch die HWI-Eiskletterskala (Himalayan Water Ice Scale). Denn mit was vergleichen, wenn noch niemand von ihnen je woanders Eis geklettert ist? Vergleichend mit der international genutzten WI (Water Ice) Skala sind die Eisfälle leicht überbewertet, man ziehe einen halben bis einen Grad ab und landet dann grob bei bekannten Werten. Noch dauert die Diskussion unter den dortigen Kletterern an, welche Skala zu verwenden sei. Ein bisschen sind sie auch stolz auf ihr eigenes Ding. Und man darf nicht vergessen, dass Eisklettern im Spiti-Tal auf Höhen von 3.700m aufwärts bei meist eisigen Temperaturen stattfindet!
© Ashish Sharma 2011-20, www.dreamink.in
Das Bergsteigen in Indien ist seit langem von ausländischen Expeditionen geprägt, und das liegt nicht daran, dass die indischen Bergsteiger grundsätzlich nicht Bergsteigen wollen. Aber es fehlt ihnen an der nötigen Ausrüstung und auch am Know-How. Aus diesem Grund wollten Prerna, Bharat, Karn und die wachsende Gruppe von Eiskletterern nach einigen Saisonen nicht nur als Auswärtige (aus Shimla, Delhi etc.) hierherkommen und Spaß haben, sondern auch den Einheimischen die Möglichkeit geben, mitzumachen. Und so entstand die Idee des „Piti Dharr“ Eiskletterfestivals, welches durch Sponsoren und ein paar zahlende Teilnehmer getragen wird. Den Organisatoren bleibt dabei nichts als die Dankbarkeit der Teilnehmer und das sichtbar erfolgreiche „Festival“.
~ Teil 3: Winter in Spiti ~
Das Leben in Spiti im Winter ist hart. Abgeschieden vom Rest der Welt sind die Winter hier kalt, -30°C sind keine Seltenheit. Die Elektrizität kommt und geht, Internet gibt es in manchen Dörfern, aber erst seit Dezember 2019 und auch nicht immer. Vor dem Winter werden die Vorratskeller aufgestockt, denn immer wieder ist die Straße für Tage, in manchen Dörfern abseits der Hauptstraße auch wochenlang, nicht befahrbar. Die Hänge sind steil und so sind an der Straße fortwährend Aufräumarbeiten von Lawinen, Muren und herabgefallenen Steinen zu erledigen.
© Susi Süßmeier
Nach jedem Schneefall versammeln sich am Morgen die Familien auf den Dächern ihrer traditionellen Lehmhäuser und räumen den Schnee von den Häusern – mit großer Vorsicht, um nicht den Lehm abzukratzen. Eigentlich wäre der Schnee eine gute Isolation gegen die Kälte, aber die Lehmdächer würden spätestens im Frühjahr bei der Schneeschmelze durchfeuchten. Sind die eigenen Dächer geräumt, muss auch noch das Dach des Tempels geräumt werden. Dorthin hat jede Familie ein Mitglied zu entsenden. Besondere Vorsicht ist beim Dachräumen im Ortskern zu wahren, damit man nicht eine der vielen engen Gassen zuschüttet oder gar einen Passanten trifft. Da die Wasserleitungen im Winter gefrieren, muss jegliches Wasser, das benötigt wird, vom Fluss geholt werden. Manchmal friert aber auch die Leitung vom „Kaza Nala“ (Kaza Fluss) zur Abfüllstelle ein, dann ist die nächste Wasserstelle sechs Kilometer entfernt. Warmes Wasser? Sofern Elektrizität vorhanden, mittels Tauchsieder und Wasserkocher, sonst vom Ofen. Man kann sich vorstellen, wie oft man sich dort – in den natürlich nicht beheizten Räumen – wäscht…
© Prerna Dangi (oben), Susi Süßmeier (unten)
Fein warm ist es dafür in den Zimmern mit Ofen, davon gibt es aber nur wenige. Denn das Holz auf 3.600m Höhe ist rar. Damit man in den eiskalten übrigen Zimmern (0°C) nicht beim Schlafen erfriert, gibt es, wenn es denn Elektrizität hat, beheizbare Matratzenaufleger. Ein ungeahnter Luxus! Kaza ist, wie das ganze Tal, durch die Nähe zu Tibet buddhistisch geprägt. Auf 3.600m gelegen, hat es in Kaza im Januar eine Durchschnittstemperatur von -25°C, im Sommer von +10°C. Es ist eine trockene, kalte Wüste dort oben.
~ Teil 4: Das Festival ~
Während die buddhistischen Gebetsfähnchen auf der Dachterrasse ihre Mantras in den Wind wehen, geben wir am ersten Tag des Eiskletterfestivals, in dicke Daunenjacken gekleidet, das Material aus, kontrollieren mitgebrachtes Material, passen Steigeisen an und üben mit den Teilnehmern etwas improvisiert das Toprope-Sichern. Tag 2 erliegt spontanen Änderungen wegen leichten Schneefalls: Statt zu den Eisfällen im Geundi Nala zu fahren, üben wir Vertikal- und Frontalzackentechnik auf dem flachen Kaza Nala. Aber alle haben Spaß und freuen sich auf das feine Abendessen mit Reis, Dal, Sabzi (Gemüsezubereitung) und Roti (Fladenbrot). Abgesehen vom Reis variiert die Zubereitung der anderen drei Gerichte täglich, schmeckt sehr lecker und ist abwechslungsreich!
© Praveen Jayakaran (oben rechts), Susi Süßmeier (andere)
Am dritten Tag gehen wir zum Lingti Nala, 25km flussabwärts, je nach Straßenbedingungen ca. eine Stunde Fahrzeit. Über dem Lingti Nala ist ein Wasserkraftwerk, welches für ein paar umliegende Dörfer unabhängig den Strom produziert, während alle anderen Orte von der langen Stromleitung aus Kinnaur im Sutlej-Tal abhängig sind. Wasserkraftwerk bedeutet aber auch unterschiedlich starken Wasserabfluss, an dem wir in gefrorener Form hochklettern. Und so beschert uns jeder Tag ein Abenteuer. Eingefrorener Diesel – das Auto startet nicht. Eingefrorener Diesel an der Tankstelle – unser Tank bleibt leer. Zu viel Schnee auf der Straße – der Räumungsbagger muss erst durch. Zu viel Wasser im Fluss – die Eisbrücke und der Zugang zum Wasserfall sind überschwemmt. Bis hin zum Eisfall, der wegen stoppender Stromproduktion plötzlich von einem Wasserschwall überlaufen wird.
© Praveen Jayakaran
Und so vergehen die sieben Tage bis zum 10. Januar wie im Flug, zwischendurch gebe ich Technikschulungen im Eisklettern und helfe Prerna, Toni und Bharat so gut es geht bei der Organisation. Insgesamt ist es ein sehr gelungenes Fest, das mit einer kleinen Party und lokalen Alkoholen (in kleinen Mengen versteht sich, alles ist kostbar!), Samosas (Nudelteigtaschen gefüllt mit super scharfem Yak-Fleisch oder Gemüse) und anderem guten Essen sowie überglücklichen Teilnehmern, Locals und Organisatoren endet. Es ist eine kleine Familie aus den Leuten geworden, die so viele gemeinsame, intensive Erfahrungen teilen: Die tagelange Anreise, das Eisklettern, die kalten Zimmer, das noch kältere Wetter und Wasser, die eisige Mitfahrgelegenheit auf einer Lastwagen-Ladefläche, aber auch die warmen, gemütlichen Abende im Wohnzimmer mit Vorträgen, Filmen und Konversationen.
~ Teil 5: Der Dankhar Eisfall ~
Und jetzt kommt mein Teil – denke ich. Der Wetterbericht sieht hingegen anderes vor. Noch einen Tag gutes Wetter, dann gibt es mehr Schnee (schließlich hatten wir schon einiges an Schnee während des Festivals…). Und so heißt es, nichts wie los, nach einer kurzen Nacht, denn bis 1 Uhr morgens wurde das Material der „Indian Mountaineering Foundation“ von den Teilnehmern zurückgebracht, gezählt und sortiert. Um 11 Uhr vormittags sind wir endlich startklar, die zwei Stunden Autofahrt laufen ohne Zwischenfälle auf den eisig glatten, meist einspurigen Straßen. 400 Höhenmeter schrauben wir uns mit Bharats Maruti Suzuki Gypsy nach oben – einem Allradfahrzeug ohne jeglichen Unfug wie Scheibengebläse, funktionierende Scheibenwischer oder fahrerseitigen Rückspiegel, dafür mit zwei Bänken im Kofferraum, um ein Maximum an Personen transportieren zu können. In Dankhar angekommen, ist der Weg zum Eisfall kurz, aber – wir sind in Indien! – die Anwohner sind sofort interessiert und servieren uns erstmal Tee mit Milch. Und so kommt es, dass wir unsere Abseilaktion erst um 15 Uhr beenden und vor beeindruckenden drei Seillängen mit super steilem Röhreneis stehen. Kein Wunder, denke ich, dass dieser Eisfall noch nie in einem Stück begangen wurde. Die Absicherungsmöglichkeiten sind mager und dann auch eindeutig auf der schlechten Seite – der Nachmittag startet mit einem unsympathischen Kaltpump. Es ist nicht leicht, einen Platz für die Haue des Eisgerätes zu finden, der sicheren Halt verspricht. Und Runterfallen ist schließlich auch keine Option. Die Amis nennen diese Eisform „Kronleuchtereis“. Sehr passend, denke ich, und pickle mit „Augen-zu-und-durch“- Einstellung die ersten 45m bis zum ersten Stand. Prerna folgt mir strahlend, selten hätte sie das Klettern so genießen können, sagt sie. Die letzten zwei Jahre haben sich Prerna, Bharat und Toni immer wieder an diesem Eisfall versucht. Sie erzählt mir von Schlingen, welche sie um kleine Säulen gelegt hat und wie sie sich dabei gefürchtet hätte. Und die Vorstellung, solches Eis mit wenig Erfahrung vorzusteigen, ist definitiv gruselig, habe ich im Gegenzug doch über die Jahre vieles an Gefühl und spezifischer Kraft fürs Eisklettern gewinnen können. Aber es ist leicht erklärbar, weshalb sie sich in den Eisfall wagten: Er ist absolut prominent, wenn nicht gar die Linie im Tal. Von der Straße aus fällt er einem ins Auge und wenn sie das Eisklettern nicht anders kennen, woher sollen die Inder wissen, dass Eisklettern auch anders geht?
© Susi Süßmeier
Die 2. Seillänge bietet stellenweise Spreizmöglichkeiten für die Beine, bessere Absicherung und wird auch für mich ein Genuss. Der Kaltpump in den Armen von der ersten Länge ist zum Glück vergangen. Wieder folgt mir eine glückliche Prerna, die meinte, sie hätte nicht einmal Zeit gehabt, ihre Daunenjacke anzuziehen, so schnell sei’s gegangen…. Die letzte Länge hat es durch ihre Steilheit nochmal in sich, ist dafür aber überschaubar kurz und abgesehen von der kohlrabenschwarzen Nacht, die uns mittlerweile umgibt, kommen wir gut oben an. Noch einmal besuchen wir (auf drängende Einladung) die nette Mutter und ihren 6-jährigen Sohn auf einen Tee in ihrer Stube. Karg und dunkel ist es dort im Erdgeschoss, dafür warm und wir sehen ihr Werk: Sie webt Wollteppiche, wie sie überall hier im Tal zu finden sind. Als Sitzunterlage, auf dem Bett oder Stuhl und vor dem Ofen. Danach machen wir uns auf die lange, kalte Heimfahrt. Hasen begleiten uns entlang der Straße und ziemlich zufrieden, aber ohne Tempelbesuch, erreichen wir zwei Stunden später Kaza.
~ Teil 6: Mehr Schnee ~
Der angesagte Schnee kommt, und Schneeschaufeln vom Dach ist angesagt. Auch die kommenden zwei Tage steht Schneeschaufeln am Programm, 60cm fallen mit viel Wind in drei Tagen. Die Straßen im Tal sind vorerst nicht befahrbar, außerdem ist die Lawinengefahr groß und ein Vorankommen ohne adäquates Wintersportgerät wenig zielführend. Wie gut, dass Tsering in der Zwischenzeit mit seinen Skikumpels die Skier gefunden hat! Nachdem das „Fuß-Skischuh-Ski-Puzzle“ beendet ist und jeder ein passendes Duo an Alpinski-Ausrüstung an den Füßen hat, wird im nahegelegenen Dorf Rangrik nach einem geeigneten Hang gesucht: Nicht lawinös, direkt an der Straße, ohne Lawinenknollen. Gesucht, gefunden und losgetreppelt – jeder Schwung muss sich im Aufstieg hart erarbeitet werden. Ich versuche mich auf die drei Skiniveaus zu dreiteilen und allen etwas österreichische Skitechnik mitzugeben – Skilehrern am Arlberg ist einfacher! Aber alle haben ihren Spaß, sind am Abend müde und der halbe Hang ist nun auch pistenähnlich planiert.
© Praveen Jayakaran (oben links), Prerna Dangi (rechts), Susi Süßmeier (unten links)
In der Zwischenzeit haben sich die Bagger nach Mane, einem Dorf oberhalb des Tales, gebaggert. Von dort kommt der 21-jährige Sonam, der mittlerweile auswärts studiert. Nachdem er letztes Jahr auf dem Festival das erste Mal die Eisgeräte geschwungen hat, erwähnt er, dass es kurz vor Mane eine tiefe Schlucht gibt, in welcher Eis wächst. Die verbliebenen Eiskletterer machen sich mit ihm auf den Weg und gleich am Nachmittag finden die ersten Erkundungstouren durch den tiefen Schnee statt. Am nächsten Tag werden Chhering, ein 21-jähriges Mädchen aus Kaza und das zweite Mal beim Festival dabei, Prerna und ich erst auf einer Seite im hinteren Teil die Lawinensituation klären und dort die Eisfälle begutachten, während die Jungs die vorderen Eisfälle erklettern möchten. Hinten in der Schlucht lacht uns 50m dickes blaues Eis aus der Tiefe entgegen. Nach Speck- und Käsebrot aus Tirol seilen wir zu dritt hinab in die Schlucht und ich werkele mich das nasse Kronleuchtereis hinauf, Chhering und Prerna folgen. Die Schlucht ist atemberaubend schön. Überall wächst Eis, das Wasser fließt unter den Füßen und 50m weiter oben strahlt der blaue Himmel zwischen den engen Felsen hervor. Beim Abendessen werden Erlebnisse ausgetauscht und die Jungs erzählen, dass sich zeitweise das halbe Dorf auf der Brücke vor der Schlucht versammelt hatte und zusah, was die Verrückten da tun.
© Susi Süßmemier (links), Prerna Dangi (rechts)
Der nächste Tag, Sonntag, 20. Januar, bringt wie in Indien üblich eine Menge gravierende Last-Minute-Änderungen. Eigentlich wollten die Jungs länger als wir bleiben, nun fahren sie direkt nach dem Frühstück zurück nach Kaza, um Shekhers gestrandeten Suzuki Verna ohne Winterreifen startklar zu machen. Denn morgen werden wir alle, mit einem Konvoi aus drei Autos, aus dem Tal abreisen. Gemeinsam mit Sonam ziehen Prerna und ich nochmals in die Schlucht, um Sonam das zu zeigen, was wir gestern erkundet haben und Prerna kommt noch zu ihrem ersten Vorstieg der Saison, am letzten Tag. Ich erfreue mich an Sonams Aussage, dass dies sein bestes Eisklettererlebnis gewesen sei und mache fleißig Fotos, seile in einen anderen Bereich in die Schlucht, aber für einen sauberen Vorstieg ist die Zeit schon zu weit vorangeschritten.
~ Teil 7: Lehren & Fazit ~
» Lehre Nummer 1: Wenn der Diesel eingefroren ist, stellt man eben einen Gasbrenner unter den Tank, hat aber auch besser einen Feuerlöscher zur Hand.
» Lehre Nummer 2: Geht nicht, gibt’s nicht! Bei Schneeketten ist nur etwas Kreativität gefragt.
» Lehre Nummer 3: Man kann schon mal zwölf Stunden brauchen, um 200km zu fahren.
» Lehre Nummer 4: Mensch gewöhnt sich schnell an Unsicherheit: Auf dem Rückweg war die Gruselstraße kaum mehr gruselig…
© Susi Süßmeier
Fazit: Eine wunderbare Reise, unheimlich herzliche Menschen, viele neue, schöne Erfahrungen und tolle Erinnerungen, die bleiben – aber leider wenig Eis. Ich habe Indien als ein buntes Land voller Kontraste erlebt. Ob ich noch einmal dort hinreisen würde? Eher nicht, jetzt habe ich es gesehen, aber wer Eiskletterabenteuer sucht, hat im Himalaya sicher noch viel Potential. Auch in Ladakh sind sie nun fleißig daran, diese Sportart zu betreiben…
© Susi Süßmeier
~ Anhang ~
Erstbegehungen:
» Mane: Kingline, HWI 6-(WI 5+), 50m, Chhering, Prerna Dangi, Susanne Süßmeier
» Mane: Second Floor, HWI 5-, (WI4), 25m, Prerna Dangi, Sonam Norbu
» Dankhar: Erste vollständige Begehung von „Dankhar Icefall“ HWI6+ (WI6), 3 SL, 120m, Prerna Dangi, Susanne Süßmeier
Reiseinformationen:
» Wo: Spiti Valley, Himachal Pradesh. Bei guten Bedingungen ist das Tal innerhalb von zwei Tagen Autofahrt zu erreichen, allerdings muss noch Zeit zum Beantragen der Visa eingeplant werden (siehe unten).
» Beste Jahreszeit: Dezember, Januar
» Unterkunft: Die Sakya Abode in Kaza
» Mitbringen: Standard Eiskletterausrüstung, Ski oder Schneeschuhe, LVS Ausrüstung, Bekleidung für bis zu -30°C, ein Schlafsack schadet auch nicht.
© Susi Süßmeier
» Besonderheiten: Aufgrund der Nähe zur tibetischen Grenze ist für nicht-indische Staatsbürger für das Spiti-Tal ein „Inner-Line“ Permit nötig. Das kostet ca. 5 EUR (400 IR) für zwei Wochen. Man bekommt es am Weg z.B. in Shimla oder Rekong Peo. Am besten hat man Kopien des Ausweises und des E-Visums (zur Einreise nach Indien benötigt) zur Hand, falls vor Ort der Drucker nicht funktioniert. Bei uns dauerte es nur eine Stunde, aber in Indien würde ich nicht drauf setzen…
» Kontakt in Indien: Prerna Dangi (Instagram: @thepahadigirl) oder Bharat Bhushan (Instagram: @climberbharat); sie waren die letzten Jahre jeden Winter dort und haben das örtliche Eisklettergeschehen recht gut im Blick.
© Susi Süßmeier