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Ein Monat am Biafogletscher | Colin Prior

  • Expedition

 Colin Prior Karakorum

Text & Fotos: Colin Prior

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Dieses Jahr ist der Landschaftsfotograf Colin Prior im Rahmen eines umfassenden Projekts zum Biafogletscher zurückgekehrt. Er will dort die immaterielle Qualität der Berge des Karakorum einfangen – eines der letzten Wildnisgebiete der Welt.

In seinem Buch Stones of Silence schrieb George B. Schaller: „Der Charakter einer Region hat viel mit dem Charakter der Person zu tun, die sie beschreibt. Denn wir erkennen unser eigenes Herz in der Landschaft. Sobald wir eine Wildnis verinnerlicht haben, werden wir nicht nur zu einer Einheit, sondern erreichen einen neuen Bewusstseinszustand.“ Für mich war dieser “Bewusstseinszustand” extrem wichtig für die Verwirklichung meiner Projekte in Schottland und Pakistan. Ohne ihn wäre ich wohl nicht bereit gewesen, die Widrigkeiten auf mich zu nehmen und so viel Mühe und Zeit hineinzustecken.

Mein diesjähriger Trip zum Biafogletscher war mit Glück und Unglück gesegnet. Der späte Schnee war perfekt für dramatische, winterliche Aufnahmen. Andererseits konnten wir aufgrund der Bedingungen einige der höheren Lagen nicht erreichen. Für mich ist es immer sehr heilsam, zu reflektieren – auch wenn das manchmal einen bitteren Beigeschmack hervorruft. Wenn ich meine Erwartungen und Hoffnungen für diesen Pakistan-Trip mit meinen tatsächlichen Erfahrungen vergleiche, muss ich aber sagen, dass ich im Großen und Ganzen erreicht habe, was ich mir vorgenommen hatte. Die fehlenden Seiten meines Buches sind nun gefüllt.

Bild: Paju Peaks vom King’s Polo Ground, Karakorum, Pakistan.

Was braucht man, um einen Monat lang auf einem Gletscher im Karakorum zu überleben? Planung und Vorbereitung sind entscheidend. Erfahrung hilft und macht alles etwas einfacher. Ich arbeite jedes Jahr mit der gleichen Agentur zusammen. Dadurch kenne ich das Kernteam mit dem Sirdar und Kameraträger seit 2004. Köche und Träger kommen und gehen, aber eine gute Beziehung zum selben Sirdar hilft ungemein, die eigenen Ziele zu erreichen. Das Essen ist natürlich auch wichtig, ebenso wie ein guter Koch. Dieses Jahr hat Medhi regelmäßig Pasta gezaubert, die es mit der Pasta in einem italienischen Spitzenrestaurant aufnehmen könnte – nur, dass wir sie in einem Expeditionszelt, zwei Meter neben einer Gletscherspalte gegessen haben!

Das Fotografieren ist ziemlich anspruchsvoll. Ich habe mit zwei Kameras gearbeitet, einer Canon 5DS und einer 5DIV. Zusätzlich hatte ich acht Batterien, ein Solargorilla Solarmodul von Powertraveller und eine Powergorilla Powerbank dabei, mit denen ich mein MacBook Pro aufladen kann. Dies ist das vierte Mal, dass ich mit der Powertraveller-Ausrüstung gereist bin. Einmal habe ich das Solarmodul benutzt, um die Powerbank aufzuladen, was fast einen ganzen Tag bei hellem Sonnenlicht gedauert hat. Allerdings war es nicht das erste Mal, dass ich mit unbenutzten Ersatzbatterien heimgekommen bin. Auf meiner vorerst letzten Reise in den Karakorum im nächsten Jahr werde ich das Lademodul nicht mehr mitnehmen, weil ich das zusätzliche Gewicht nicht rechtfertigen kann. Ich fotografiere gleichzeitig auf zwei Speicherkarten. So muss ich unterwegs kein Backup machen. Zusätzlich hatte ich ein Gitzo® Systematic-Stativ dabei, das auch in tiefem Schnee super stabil ist.

Ansonsten kann ich einen sehr warmen Schlafsack wie den Glacier Expedition und eine dicke Isomatte wie die Aerostat Down 7.0 Mat empfehlen, um richtig gut zu schlafen. Schließlich wird jemand bezahlt, um die Ausrüstung zu tragen. Ich finde, es macht keinen Sinn, hier Kompromisse zu machen.

Zurück zum Abenteuer: Wie bereits erwähnt, hatte es in dieser Saison sehr spät geschneit. In Askole, dem Tor zum Karakorum, wo wir drei Nächte Zwangspause einlegten, regnete es in Strömen. Dieser sintflutartige Regen ist im Karakorum kein gutes Omen. Steinschlag ist quasi vorprogrammiert. Viele Menschen denken beim Wort Steinschlag an ein paar Felsbrocken, die einen Hang hinunterrollen. Die Felsen im Karakorum sind teilweise so groß wie Autos und stürzen in rasender Geschwindigkeit und mit einer Gewalt herunter, die wirklich beängstigend ist. Oftmals sieht man die Steinschläge auf der andere Seite der Gletschers in der Ferne. Sie können Minuten, manchmal auch Stunden dauern. Wir haben einige „PKW-Felsen“ so nah den Berg herabstürzen sehen, dass wir schleunigst Deckung suchen mussten. Am ersten Tag führte uns der Weg zum Biafogletscher an exponierten Wänden mit Tausenden lockeren Felsbrocken entlang, die jeden Moment zu fallen drohten. Der Abschnitt wird nicht umsonst “Boom Alley” genannt! Glücklicherweise kamen alle sicher und ohne Zwischenfälle am ersten Camp in Namla an.

Bild: Eine Eselkaravane, Biantha Camp auf dem Zustieg zum Biafogletscher.

Fünf Tage später spürten wir die Folgen des starken Schneefalls am eigenen Leib. Wir blieben ständig im meterhohen Schnee stecken. Wir stapften weiter, bis einer der Esel ausrutschte und in eine Gletscherspalte fiel. Uns wurde uns klar, dass unser Vorhaben zu diesem Zeitpunkt keine gute Idee war. Zum Glück konnten die Träger das Tier retten: Sie füllten die Spalte mit großen Felsen und bauten eine Art Treppe, die der Esel hinaufklettern konnte. Es war ein fabelhafter Moment, das arme Tier aus der Spalte auftauchen zu sehen. Daraufhin führten wir die Herde den Gletscher hinunter nach Biantha, wo sie drei Tage lang graste.

Wir verbrachten zwei Nächte in unserem improvisierten Gletschercamp und warteten, dass der Schnee etwas abschmilzt. Danach machten wir uns nach Karpogoro auf. Die Navigation über die schneebedeckten Gletscherspalten war eine große Herausforderung. Nachdem wir auf die östliche Seitenmoräne gequert waren, fiel ich in eine Spalte. Glücklicherweise blieb ich dank meines Rucksacks hängen. Der Adrenalinkick beflügelte mich auf dem letzten harten Anstieg zum Camp, das einen herrlichen Aussichtspunkt über den Gletscher bot. Am späten Nachmittag richtete ich mein Teleobjektiv auf die namenlosen Zwillingsgipfel. Die untergehende Sonne tauchte die Felsformationen, die im Vordergrund die Zwillingsgipfel in der Ferne nachzuahmen schienen, in ein warmes Licht. Während der Aufnahme wurde mir bewusst, dass das Bild auch im Hochformat funktionieren würde und drehte die Kamera in eine aufrechte Position. Erst als ich die Bilder auf meinen Laptop heruntergeladen hatte, wurde mir klar, dass ich gerade das Titelbild für mein Buch aufgenommen hatte. Was für ein Tag! Ich konnte nicht umhin zu denken, dass das Foto die Belohnung für das war, was früher am Tag leicht in einer Katastrophe hätte enden können.

Bild: Namenlose Zwillingsgipfel (5734 + 5770m) von Karpogoro aus fotografiert, Biafogletscher, Karakorum, Pakistan.

Der Abstieg am nächsten Morgen von Karpogoro zurück auf den Gletscher war genauso anstrengend wie der Aufstieg. Als wir den Simganggletscher erreichten, flachte sich das Gelände langsam ab. Wir überquerten den Gletscher fast bis zu seinem nördlichen Rand und schlugen dort unser Lager auf. Das Camp bot eine großartige Aussicht. Im Westen sah man die Türme am Ende des Biafogletschers und in der entgegengesetzten Richtung den Ogre (Biantha Brakk). Das Morgenlicht war perfekt für Aufnahmen der Broad Towers, der Solu Towers und des Hispar La. Ich kreierte einige Kompositionen, darunter ein Panorama. Gegen Mittag schneite es heftig und ich vermutete, dass es für heute mit dem Fotografieren vorbei war. Doch am späten Nachmittag verzogen sich die Wolken, die den Ogre den ganzen Tag verdeckt hatten. Als die Sonne unterging, klärte sich der Himmel und enthüllte die Zwillingstürme, den Gipfel und den Red Pillar – es war wie die Teilung des Roten Meeres. Kurz darauf zogen die Wolken wieder vor den Berg und ließen mich mit einem Bild zurück, dass sich für immer in mein Gedächtnis brannte.


Bild: Baintha Brakk (Der Ogre), Simgang-Gletscher, Karakorum, Pakistan.

Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass egal, was man sich vorgenommen hat und wie viel Planung man in ein Projekt steckt, am Ende braucht es immer eine Portion Glück. Eines ist jedoch klar: Wenn man nicht im Karakorum ist, kann man auch keine Fotos vom Karakorum machen. Ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass man nicht alles mit Gewalt erreichen kann. Manchmal muss man den Dingen einfach ihren freien Lauf lassen.

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Über Colin Prior

Colin Prior, 1959 geboren in Milngavie, Glasgow, ist ein Landschaftsfotograf. Er ist bekannt für seine Panoramaaufnahmen von Schottland und von überall auf der Welt. Er arbeitet extrem viel mit Großbildkameras und dem Fuji Velvia, um Panoramaaufnahmen im 617 Format einzufangen, bevorzugt im warmen Licht von Sonnenaufgang und -untergang. Colin hat bereits vier Kalenderprojekte für British Airways und viele Soloexpedition realisiert. Die Bekanntesten sind „The Scottish Visual Experience“, „Land´s End“ und „The World´s Wild Places.“

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