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Diamond Ridge: Die Sonnenseite der berühmten Nordwand

  • Klettern
  • Martin Feistl
  • Silvan Metz
  • Team

Text: Silvan Metz
Fotos: Silvan Metz & Martin Feistl

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Und wieder hält kein Auto an. Wieder stehen wir im italienischen Val Ferret und strecken mit müden Armen unsere Daumen aus. Das ist kein Zeichen für „gut gemacht“. Ist das mittlerweile in Vergessenheit geraten oder wirkt man nach den Grandes Jorasses so abschreckend? Schon bei meinen ersten zwei Erfahrungen mit diesem Berg war die Rückkehr zum Ausgangspunkt ein Kampf. Immerhin, denke ich, diesmal müssen wir weder durch den Tunnel noch über die Grenze, dann laufen wir eben. Doch Martin sieht das offensichtlich anders – und blockiert beim nächsten Auto kurzerhand die gesamte Straße. Der verdatterte SUV-Fahrer ist so perplex, dass er sich dem gebieterisch vorgetragenen Beförderungsauftrag nicht entziehen kann. Geht doch.

Aber von vorne. Warum müssen wir nicht durch den Tunnel nach Chamonix zurück? Sind die Jorasses nicht gleichbedeutend mit ihrer legendären Nordwand, die man von Frankreich aus erreicht und die damit die Rückkehr durch den Tunnel voraussetzt? Nun ja, eigentlich schon. Doch Martin und ich sind den klassischen Walkerpfeiler schon vor ein paar Jahren geklettert, Jana vom DAV Expedkader und ich wenig später auch noch das Leichentuch links daneben. Zeit für etwas Neues.

Und dann sind da die Berichte über eine neue Route in der Troncheywand. Diamond Ridge. Die höchste Wand im Mont Blanc Massiv. 1600 Höhenmeter zu klettern, die Erstbegeher brauchten zwei Biwaks. Fester Fels im unteren Teil wurde versprochen. Sonne auch. Vom Ausgangspunkt bis zum Gipfel keine Markierungen, geschweige denn Wege. Und man spart sich den Tunnel.

Kein Wunder, dass wir nicht lange überlegen und zu Sonnenaufgang über die steilen Gras- und Geröllhänge Richtung Punta Grassi aufsteigen. Auf 2600 Meter beginnt die Kletterei, anfangs noch mit einer abschreckenden Allgäunote – Gras und Schrofen. Doch nach ein paar Metern und Routenfindungsschwierigkeiten verschwindet das Gras. Und die Troncheywand taucht auf. Eindrucksvoll, aber irgendwie hätten wir uns das noch eindrucksvoller vorgestellt. Die Troncheytürme, an denen der Diamond Ridge in den Troncheygrat mündet, scheinen zum Greifen nah.

Die eigentliche Kletterei beginnt erst jetzt, und der Fels wird seinen Beschreibungen gerecht: Über feste Verschneidungssysteme zirkeln wir uns nach oben. Mittags sind wir schon am ersten Biwak unter einem markanten Turm. Wirkt nicht so einladend. Schnee gibt es Ende August hier auch nicht mehr. Wir gehen unsere Optionen durch: Hier bleiben. Nein, nicht so gut. Weitergehen. Was, wenn die Gewitter kommen? Was, wenn wir kein Wasser mehr finden? Auch nicht so gut, aber das Risiko wert. Schlimmstenfalls wird das Ganze eine sehr durstige Angelegenheit.

Martin überrennt den steilen Turm und streicht dabei das A0. Danach fräsen wir uns durch einfaches Schrofengelände weiter und sind bald im oberen, steilen Teil des Diamond Ridges. Hundert Meter neben uns führt der Troncheygrat durch haarsträubenden Bruch, während wir über bombenfesten Granit durch Risse und Platten nach oben klettern. Eigentlich ganz nett, doch immer noch kein Schnee in Sicht. Auf Höhe des ersten Troncheyturms treffen wir den Troncheygrat und augenblicklich wird der Fels schlecht. Aus Klettern wird Block-Mikado. Ein (mehr oder weniger) beliebtes Gesellschafsspiel für die ganze Seilschaft: Der Spielaufbau ist vorgegeben, die Regeln ähneln dem namensgebenden Original.

Nach ein paar Spielzügen stehen wir vor der Rinne unter dem zweiten Turm. Immerhin, hier liegen in Form von zwei kleinen Flecken Hagelkörnern die Überreste des letzten Sommergewitters. Wir machen eine Flasche damit voll und erklettern die gegenüberliegende Rippe. Die Kletterei wird steil, unter uns liegt jetzt ein Großteil der Troncheywand. Okay, doch recht eindrucksvoll. Eindrucksvoll ist aber auch das bedrohliche Grummeln im Nacken. Nebel hüllt uns ein. Wir wussten ja um die Quellwolken, aber so richtig wohl fühlt man sich bei Gewitter trotzdem irgendwie nicht.

In einer kleinen Nische bauen wir einen soliden Stand und warten erstmal ab. Ganz schön langweilig, dieses Warten. Und nervig. Besonders, wenn man auf abschüssigen Felsplatten sitzt und unweigerlich den Reibungskoeffizienten zwischen Granit und Arschbacken testen muss. Nach einer halben Stunde Warten und beachtlichen Schrumpfens unserer Schokoladenvorräte beschließen wir, dass das Gewitter doch vorbeizieht und machen uns auf den Weg. Bis zum Biwakplatz unter der Ostseite des dritten Troncheyturms sollte es nicht mehr so weit sein.

Und was das für ein Biwakplatz ist! Darunter pfeift die Ostwand der Jorasses steil und weit in die Tiefe. Schade, dass wir das bei Nebel gerade nur erahnen können. Darüber steilt der dritte Turm auf, unsere Frühstückslängen für morgen. Gut, dass wir das bei Nebel gerade nur erahnen können. Wir konzentrieren uns stattdessen lieber auf die luxuriöse zwei mal zwei Meter große Plattform und lassen es uns gut gehen. Dadurch, dass wir die geplanten ersten beiden Tage heute gemütlich zusammengefasst haben, bleibt eine doppelte Essensportion. Ein Luxus, den ich so nicht von den Jorasses gewohnt bin. Eigentlich kenne ich hier nur kalkuliertes Hungern…

Das Gewitter wütet weiterhin auf der Südwestseite der Jorasses, doch bei uns werden die Wolkenlücken mehr. Der Tiefblick wird sichtbar, ebenso die chaotischen Bergketten um Leschaux- und Argentièregletscher. Und dann tauchen am Horizont die Walliser Berge auf. Von unserem Logenplatz auf 4000 Meter überblicken wir die scheinbar mickrigen Berge dazwischen, als ob es sie gar nicht gäbe. Ganz am Horizont wird uns noch ein besonderes Schauspiel geboten: Eine gewaltige Gewitterzelle über dem Tessin, zehn Kilometer hoch und mindestens vier bis fünf Mal so breit, wird im Sekundentakt von Blitzen erleuchtet. Da die Zelle aber viel zu weit weg ist, bleibt die Lichtshow surreal stumm.

Am nächsten Morgen genießen wir den größten Vorteil eines ostseitigen Wandbiwaks und lassen uns und den Fels von der Morgensonne aufwärmen. Dann starte ich in die erste Länge, die zwar fürchterlich brüchig ist, aber noch nicht so schwer. Dann übernimmt Martin die zweite Länge und spielt die Ropegun-Trumpfkarte voll aus: Wir verpassen den Abzweig zur Young-Variante, die wir als (heutzutage) potentiell leichteste Linie vermuten. Also steuert Martin stattdessen auf die Hoffnung spendenden Quergangshaken von Croux, Terray und Viney von 1936, 1949 und 1953 zu. Und verzweifelt an jedem der Haken, da die vielen Jahre jeden davon auf die Qualität eines Reißnagels in Raufasertapete reduziert haben. Wir haben zwar Haken dabei, doch das Eisgerät hängt unerreichbar auf der Rückseite des Rucksacks. Also fürchtet sich Martin den Quergang ungesichert zum Standplatz hinüber und ich fürchte mich währenddessen schon beim Sichern vor dem Nachsteigen des ungesicherten Quergangs zum Standplatz hinüber. Die Füße stehen auf bröseligen Leisten direkt an der Kante eines Überhangs. Mit den gesamten 1000 Metern der Ostwand darunter und kaum Griffen steigt beim Nachklettern mein Respekt vor Martins Kopf – und vor den oben genannten Kletterern, die das in Bollerschuhen und Knickerbockern geklettert sind!

Martin hängt noch eine leichtere Seillänge dran, dann stehen wir knapp unter dem Gipfel des dritten Turms im leichten Gelände. Durch fortgeschrittene Level Block-Mikado tasten wir uns vorsichtig weiter. Irgendwie fühlt es sich ziemlich witzlos an, hier Cams zwischen die Blöcke zu schieben.

Ein paar hundert Meter später erreichen wir den Gipfel der Pointe Walker. Mann, fühlt sich das gut an wieder auf dem Gipfel des coolsten Berges der Alpen zu stehen! Weniger cool fühlt sich der Gedanke an den Abstieg an, den ich in schlechter Erinnerung habe. Für den oberen Teil gibt es drei Varianten: Die Whymperrippe, langsam, aber sicher. Die Rinne neben dem Hängegletscher, die Jana und ich abgeseilt sind und die ich weder nachmittags noch im Sommer wiederholen möchte. Und die unglaublich brüchigen Felsen unter der Pointe Walker, die Martin und ich das letzte Mal nachts abgestiegen sind und die ich ebenfalls nie wiederholen wollte. Eigentlich würde ich gerne die Whymperrippe ausprobieren, doch nach kurzer faulheitsbasierter Entscheidungsfindung eiern wir über die letztgenannte Variante herunter. Nach dem Kontakt mit den ersten sandigen Felsen werde ich meinem Ärger über das eigene Lernunvermögen mit Hilfe akustischer Therapiemethoden Herr, dann geht’s eigentlich. Bis dahin sind wir allerdings auch schon unter lautstarken metaphorischen und wörtlichen Poltern am Gletscher angekommen. Es folgt der übliche Sprint unter der Mutter aller Seracs, die Querungen, die Abseiler, die nächsten Querungen, das Spaltenlabyrinth, das Abklettern, das nächste Abseilen und das nächste Spaltenlabyrinth bis wir endlich am Wanderweg angekommen sind und nur noch 1400 Höhenmeter in unsere Knie hineinblasen müssen.

Aber hey, immerhin steht das Auto diesmal im selben Tal!


Packliste

Rucksack:

Tupilak 37+

Bekleidung:

Ibex Pant
Groundup Tee
Eclipse Hooded Jacket

Skyline Jacket (Silvan) / Prophet Jacket (Martin)

Tupilak Atmo Jacket (Silvan) / Impellor Active Jacket + Squall Hooded Jacket (Martin)

Tour Glove
Couloir Glove

Odyssey Pant

Biwakausrüstung:

Firelite (Silvan) / Firefly (Martin)

Ultralite Bivi

Falt-Isomatten

Kocher
220g Gas
800ml Topf

Expeditionsnahrung
Schokolade
Nüsse
Gummibärchen

Sicherungsausrüstung:

40m Einfachseil
40m Rapline

Cams 0.3-3 + schwarzer Totem (wichtig)
1 Satz Keile
4 Schlaghaken
4 Alpinexen
6 120er Schlingen
2 lange Kevlar
HMS-Karabiner und Schnapper
Tibloc
Micro Traxion
Tube
Reepschnur

2 Eisschrauben
Steigeisen
1 Eisgerät pro Person

Hüftgurt
1 Eisclipper pro Person

Sonstiges:

Kletterschuhe

Helm

Sonnenbrille

Stirnlampe

1l Flasche pro Person

Erste-Hilfe-Set

Handy

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